XBrower-Titel

CrossBrowser Publishing [1/5]

Schon die Urväter der jetzigen Browser waren nicht in der Lage HTML-Seiten browserübergreifend identisch anzuzeigen. Im Kampf um Marktanteile versuchten die einzelnen Browser sich durch eigene HTML-Erweiterungen gegenseitig auszustechen. Der sogenannte "Browserkrieg" fegte die sorgsam von Komitees und Konsortien beratenen Standards vom Tisch. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Zukunft des Webs nicht im <blink> oder <marquee>-tag liegen. Die Browser-Hersteller haben, mal mehr, mal weniger, begriffen, dass PC und Internet-Kühlschrank sich nur mit Standards unter einen Hut bringen lassen. Zeit, sich die Auswirkungen der neuen Browser-Generation in der Praxis anzusehen.

Ausgerechnet die Software-Industrie, die sich sonst gerne das Etikett "fortschrifttlich" anheftet, hinkte gewaltig den Standardisierungsprozessen hinterher. Zur Erinnerung: HTML 4.0 wurde im Dezember 1997 vom W3C verabschiedet, CSS1 gar im Dezember 1996 und CSS2 im Mai 1998.

Der erste "große" Browser jedoch, der die Bezeichnung "Standard-konform" verdiente, erschien erst im März 2000, ausgerechnet die Mac-Version des Microsoft Internet Explorer 5.

Die Browser-Krieg

Wie der Krieg ausbrach, was ihn (vorläufig) entschied.
Um sich gegenseitig Marktanteile abzuluchsen, konzentrierten sich die beiden Hauptkontrahenten Netscape und Microsoft darauf ihre Browser mit Features auszustatten, die der Konkurrent nicht hatte.
Die Standardisierungskomitees zeigten sich ob der Innovationsgeschwindigkeit völlig überfordert und hechelten mit ihren Standards verzweifelt den von Microsoft und Netscape in die Welt gesetzten Tags hinterher. Um hier aber ganz klar einen Schuldigen zu benennen: Netscape hat mit diesem Spiel bereits 1995 mit dem Navigator 1.1 angefangen...
Erst um die Jahreswende 97/98 begann die Lage sich zu beruhigen. Einerseits geriet Microsoft ins Fadenkreuz der US-amerikanischen Justizbehörden ob seiner Geschäftspraktiken. Andererseits hatte Netscape das Rennen aufgegeben.
Netscape wurde 1997 von Microsoft zunehmend in die Ecke gedrängt, suchte verzweifelt nach einem Geschäftsmodell. Microsoft hatte lange vorher angekündigt im Sommer '97 den Internet Explorer 4 zu veröffentlichen. HTML 4.0 stand kurz davor in einer finalen Version verabschiedet zu werden. In dieser Situation wurde im Juni '97 völlig überstürzt der Navigator 4 veröffentlicht. Netscape entschied sich mit dem Navigator 4 den priopritären HTML-Befehl Layer einzuführen. Selbst auf der eigenen Entwicklerkonferenz die einen Monat vor Veröffentlichung von Netscape 4 stattfand, wurde vor der Verwendung dieses Befehls gewarnt und es wurde empfohlen stattdessen auf CSS-Positioning zu setzen!
Es wurde anschließend klar, dass Netscape den Browser-Krieg verlieren würde. Zu schnell hatte Microsoft aufgeholt und mit MS IE 4 eine gleichwertige Version herausgegeben. Netscape suchte verzweifelt nach anderen Businessmodellen: Ausbau von Netscape.com als Portal, zahlreiche Aufkäufe im Bereich der Unternehmenssoftware. Alles nutzte nichts, die Geschäftszahlen waren verheerend. Im Dezember 1997 mussten erstmals Verluste bekanntgegeben werden. Der Todeskampf begann.
Am 22. Januar 1998 wurde zwischen Microsoft und dem US-Justizministerium eine Vereinbarung bzgl. des Bundlings des Internet Explorers mit dem Windows-Betriebssystem getroffen. Wenige Stunden später gab Netscape bekannt den Sourcecode vom Navigator 5 zu veröffentlichen und als Open Source zur Verfügung zu stellen. Schnell wird die entsprechende Infrastruktur geplant und vorgestellt: mozilla.org
Im Februar wurden Gerüchte bekannt, dass Netscape bei verschiedenen Firmen zwecks Aufkaufs vorsprechen würden: IBM, Sun, Oracle und AOL.
Am 1. April dann die "Free the Lizard"-Party: Unter www.mozilla.org wird der Netscape 5-Sourcecode abgestellt
Im Verlaufe des Sommers 1998 werden aus internen Microsoft-Papiere Details bzgl. der Bekämpfung von Netscape bekannt, während Netscape weiterhin rastloses Tuning an den Geschäftsmodellen betreibt. Am 23.11.1998 ist es dann soweit: AOL kauft Netscape. Netscape ist nur noch eine leere Hülle. Nun können sich die Browserhersteller auf Wichtigeres konzentrieren als irgendwelche Schlachten in einem Krieg zu führen.
Diese Schlacht hat Microsoft klar für sich entschieden. Ende 2000 haben Netscape-Browser einen Marktanteil von 10-20%, während der Rest fast ausschließlich zugunsten des Internet Explorers geht.
Dennoch: Microsoft hat allenfalls eine Schlacht, und nicht den Krieg gewonnen. Mit dem Aufkommen der "wireless Post-PC-Gadgets", wie es die NY Times genannt hat, müssen Browser geänderte Bedingungen erfüllen. Der Explorer und seine nahtlose Integration in das sehr fette Windows-Betriebssystem bieten hier Microsoft keinerlei Startvorteil, während es Netscape-Browser-Portierungen für zahlreiche Plattformen gibt.
Was das nächste Schlachtfeld angeht, werden also die Karten neu gemischt...

Das Zeitalter der Standards

Aus Sicht der meisten Web-Producer klingt das Wort "Standards" wie "Kreativitäts-Kastration". Es wird meistens verbunden mit "kleinster gemeinsamer Nenner", "Abschied von der schönen Subnavigation nehmen" und "Bilder rausschmeißen". Mit anderen Worten: Der/die Web-DesignerIn wird sich an seine/ihre Geschlechtsteile gefasst fühlen.
Das klingt bei den Standard-Apologeten natürlich anders, "blühende Landschaften" Kohl'schen Ausmaßes werden dem Producer versprochen:
"code once, run anywhere". Egal ob PC mit 21-Zoll-Monitor oder Internet-Kühlschrank mit 3-Zoll-Display. Das Anlegen von zehn Versionen einer Seite für zehn verschiedene Internet-Appliances wäre ein kaum noch handzuhabender Alptraum. Schluss mit den Budget-verschlingenden Bugfixes und Workarounds. Diese 25% des Budgtes können für sich in Gestaltung oder Ausbau investiert werden.
"Accessibility" für Seh- und köperlich Behinderte, teilweise schon gesetzlich festgeschrieben.
"Accessibility" für Programme: leichteres dynamisches Generieren von Seiten aus Datenbanken, leichteres Indizieren und Verwalten von Seiten.

Accessibility für Behinderte

Wieso, wozu, warum und wie überhaupt?
Wieso? In verschiedenen Staaten sind für bestimmte Websites (vor allem "öffentlich-rechtliche") bereits gesetzliche Regelungen in Kraft, die ein Mindestmaß an Zugänglichkeit erfordern. Das W3C mit seiner WAI - "Web Accessibility Initiative", hat auf einer HTML-Seite Links zu den entsprechenden Verordnungen, Gesetzen und Gesetzesinitiativen aus aller Herren Länder zusammengetragen: http://w3.org/WAI/References/Policy.
Wozu? Ein sehr gutes Fallbeispiel ist die offizielle Olympiasite von IBM und dem Olympischen Komittee in Sydney, die verklagt wurde weil verschiedene Bereiche der Site (Übersichten der Sportarten und Ergebnislisten) nicht für Behinderte zugänglich waren. Zwei klitzekleine Änderungen wären nur vonnöten gewesen: Einsatz des alt-Attributes in Bildern und zusätzliche Navigation durch einfache Textlinks statt ausschließlich Imagemaps zu verwenden. www.olympics.com weigerte sich der Anordnung zu folgen und bevorzugte es die Strafe von 20.000 Dollar zu zahlen. Eine subjektive Schilderung des Falles: http://www.contenu.nu/socog.html.
Warum? Offensichtlich sind sich nur wenige bewusst wie Blinde surfen, bzw. welchen konkreten Zweck das alt-Attribut hat. Die meisten Blinden surfen mit einer Soft-/Hardware die ihnen die Webseite vorliest, oder auf einem Braille-Gerät ausgibt. Überall wo das Gerät auf Bilder ohne alt-Attribut stößt, wird "Image" vorgelesen.
Eine Navigation in Bildern ohne alt-Attribut "hört" sich für den Blinden so an: "Image, Image, Image, Image, Image." Erst wenn im alt-Attribut eine sinnvolle Beschreibung eingetragen ist, macht so eine Navigation Sinn: alt="Home" ... alt="Support" ... Für den Blinden "sieht" die Navigation dann so aus: "Home, Support...", also durchaus sinnvoll.
Auch bei Grafiken die man nur zu Layout-Zwecken im Dokument hat (z.B. Spacer) sollte man zumindest ein leeres alt-Attribut eintragen damit nicht immer "Image" vorgelesen wird. Logisch, dass das Ablegen der Dateigröße oder längere Kommentare im alt-Attribut eigentlich nichts verloren haben!
Und als Argumentationshilfe: Alles was den Behinderten dient, hilft auch den Robotern von Suchmaschinen beim Indizieren der Site...
Alles Punkte, die in diesen Zeiten von zunehmender Bedeutung sind.
Die gute Nachricht aber: Nicht jeder muss gleich zur Großpackung Standards greifen und sich damit abmühen.
Eine Website für eine Tageszeitung wird mehr Wert auf Zugänglichkeit für die verschiedensten Internet-Appliances legen um eine breite Zielgruppe zu erreichen. Der Content sollte unkompliziert dynamisch aus einer Datenbank gespeist werden können.
Eine Multimedia-Agentur wird aber auf ihrer Website eher zeigen wollen wo im Medium Internet "der Hammer hängt", die Browser an die Grenzen ihrer Leistung bringen, und dementsprechend mehr Aufwand für eine Browser-spezifische Lösung treiben wollen.
Nicht für jede Website sind daher alle Standards gleich wichtig. Vielmehr sollte man sich bewusst sein an welche Zielgruppe man sich wendet, und entsprechend die richtige Packungen Standards aus dem Regal greifen.
Dies gilt umso mehr, da wir uns derzeit in einer schwierigen Phase befinden. Die Web-Producer müssen sich die Standards erst aneignen und Stärken und die Schwächen kennenlernen. Gleichzeitig bekommen die Web-Producer so gut wie keinerlei Unterstützung durch die Softwarehersteller. Die Browserhersteller implementieren die Standards mehr oder weniger nach eigenem Gusto, und auch die Hersteller gängiger Web-Authoring-Software sind vom famosen "S-Wort" unbefleckt. Wir werden noch darauf zu sprechen kommen...
Die folgenden Bemerkungen sollen uns Web-Producern das Leben in diesen harten Zeiten leichter machen.
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