"Lust und Lethargie" -- dogfood in Frankreich
Donnerstag, 7.3.
IC907 Hamburg-Köln. Wie ich so vor mich hin sinniere, bin ich überrascht festzustellen seit wielangem ich eigentlich diese Strecke tagsüber nicht mehr gefahren bin. 15-20 Jahre ungefähr. Seitdem entweder tagsüber mit dem Metropolitan auf einer anderen Strecke, oder nachts mit den Nachtzug nach Paris. Ich war mir zum Beispiel gar nicht so bewusst wie bergig es zwischen Münster und Osnabrück ist. Erinnert ein bisschen an die Pfalz.
Ich habe den Zug nicht geschickt gewählt, denn ganz genau mit Beginn des Feierabendverkehr fahre ich in das Ruhrgebiet ein, und in dem Zug fallen die ganzen Fernpendler ein, die von Dortmund nach Düsseldorf, oder Duisburg nach Köln müssen. Auf der anderen Seite war der Zug nicht ungeschickt gewählt, denn so konnte Jan, der beruflich in Dortmund zu tun hatte, und eh einen zwei Minuten später fahrenden IC nehmen wollte, bei mir zusteigen. Und wir unterhielten uns bis Köln über Gott und die Welt, vornehmlich aber über die Unzufriedenheit mit dem Job den jeder in seinem Umfeld verspürt, uns beide selbst eingeschlossen. Leute geht die Firma den Bach runter, dem anderen die Freundin findet keinen Job, weswegen ein etwaiger Umzug in eine andere Stadt ansteht, einigen anderen geht das Arbeitsumfeld auf die Nerven. Kurzum: es gibt keinem dem es momentan im Job gefällt, und der sich nicht nach was anderem umschaut.
17h51, der IC schlägt pünktlich im Kölner Hauptbahnhof auf. Während wir zur
U-Bahn laufen, halte ich nach isländischen Sängerinnen Ausschau. Der Fahrkartenautomat gibt mir wieder Gelegenheit Coolness zu zeigen. Jan müht sich ab die 1€20 Cent-Stück für Cent-Stück abzudrücken. Herr Pahl zückt dagegen lässig seine
Geldkarte. Kein Kleingeld, kein Problem.
Zwei Stationen später steigen wir am Friesenplatz aus der U5 aus. Das letzte Mal habe ich mich Jans Wohnung von der anderen Seite angenähert, die eher karg daherkommt, diesmal sieht es richtig urban aus, Restaurants, Läden, Betrieb, Autos.
In der Wohnung bin ich kurz mein Gepäck losgeworden, und wir sind in einer Kneipe gegangen um was zu Abend zu essen. Die Hamburger waren sehr korrekt, der Telefonanruf der mich auf dem Handy ereilte, war es nicht. Ein Notfall. Arghh. Ein Kunde hat mit seiner Site seinen Provider gewechselt. Zwar wird seit geraumer Zeit an diesem Umzug gewerkelt, aber mir hat keiner Bescheid gesagt wann die Site scharfgestellt wird. Erst am gestrigen Mittwoch hat man mir mitgeteilt dass die Site am Vortage bereits scharfgeschaltet wurde. Und nun hat man (vulgo: Kunde) festgestellt dass man (ich) vergessen hat, ein Script zu kopieren, was man (ich, Provider und Kunde) dummerweise vorher nicht getestet hat. Ich versprach noch am Abend nachzugucken ob ich zufällig das Script irgendwo auf meinem Laptop rumfliegen habe. Appetit war mir natürlich vergangen.
Zuerst stellte ich fest dass ich keine lokale Kopie der Site mitgenommen hatte, aber dann durchfuhr mich ein Geistesblitz, und ich wurde in den Preferences von
Interarchy fündig. Jan schickte dann das Script noch am Abend ab.
Im weiteren Verlaufe des Abends folgte das rituelle sich-abschlachten-lassen von Jan bei "Tony Hawks 2" (mein bester Score gegen Jan: vier abgeknüpfte Grafiti). "18 Wheeler" konnte ich immerhin noch ausgeglichen gestalten.
Jan hat mir dann noch das Hochzeitsvideo und Hochzeitsfotos gezeigt. Und kurz vor der Harald-Schmidt-Show kam dann auch Sabina von der Arbeit nach Hause.
Kurz vor Auftauchen von Wim Wenders als Gast der Sendung, wurde der Fernseher ausgemacht, und unsere PowerBooks so eingestellt dass sie die Nacht über schiedlich-friedlich MP3s kopieren konnten. Jan drückte mir als Gute-Nacht-Lektüre einige Comics in die Hand.
Jans erste Empfehlung war eine sechsteilige Mini-Serie mit
Nick Fury "
Fury 2001". Das Ding erschien auf einem neuem Imprint von Marvel für "mature Comics" namens "
Max", und warb damit das es "explicit content" hatte. Überhaupt hatte man das Gefühl dass es in der Mini-Serie vorrangig darum ging viel "explicit content" rüberzubringen. Jedes zweite Wort "fuck", diverse Extremitäten die weggeschossen wurden, bis hin zum Endkampf in der Nick Fury seinen russischen Gegenüber umbringt, indem er ihn aufschlitzt und mit dem eigenen Gedärm erwürgt. Ich bin durchaus für einiges zu haben, aber das war mir zu plump.
Die zweite Empfehlung war dagegen eine kleine Sensation: "100 Bullets" erschienen auf DCs Imprint "Vertigo". Kaum in Paris angekommen, habe ich die Serie gekauft.
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Freitag, 8.3.
Beim Frühstück am nächsten Morgen hatte ich noch ein bisschen Gelegenheit mit Sabina zu plaudern, leider nicht allzu lange, da mein Zug nach Paris bereits um kurz nach zehn abfuhr.
Der Zug zwischen Köln, Brüssel und Paris, ist der "
Thalys", ein Hochgeschwindigkeitszug, der zwischen Köln und Brüssel mit ungefähr 120, 150 km/h durch die Landschaft tuckert. Der belgische Teil zwischen Lüttich und Brüssel ist entschuldigt, man arbeitet gerade an einer neuen Trasse, aber wieso man auf dem schnurgeraden Stück zwischen Köln und Aachen so schleichen muss... In Brüssel wird der Thalys aus Amsterdam kommend angehängt, und auf einer speziellen Trasse geht es nun mit ca. 250, 300km/h durchs belgo-französische Land. Eine ganze Zeit lang führt die Trasse parallel einer Autobahn entlang, und entsprechend lässt man die mit 130 Stundenkilometer fahrenden Autos links liegen.
Ich musste den vollen Fahrpreis entrichten, sämtliche ermässigten Kartenkontigente für den Freitags-Thalys waren bereits vergeben. Der Zug war entsprechend voll, wobei nicht ganz mit dem Publikum gefüllt, vor dass mich Sabina gewarnt hatte: Deutsche die mit Fotoapparat und Schampus auf Wochenendreise nach Paris fahren.
Der Preis des Thalys ist relativ hoch (150 EUR), der Komfort dagegen spärlich. So wenig Beinfreiheit hatte ich bis dato noch nicht mal im Flugzeug. Alle halbe Stunde wechselten die Schaffner und man wurde nach den Tickets gefragt. Die
Bar machte eine halbe Stunde vor Brüssel Feierabend, um hinter Brüssel kurz wieder aufzumachen und dann wieder eine halbe Stunde vor Paris endgültig zu schliessen. Keine Steckdosen für das PowerBook. Wenn ich bedenke was ich im Metropolitan zum vergleichbaren Preis alles bekomme... Halsabschneider.
Und Frau Gudmundsdottir sass auch nicht im Wagen. Wiewohl die Wahrscheinlichkeit dass sie im Zug sass, nicht gering war, da sie am Mittwoch in Köln, und am Samstag in Paris einen Fernsehauftritt hatte. Und sie bevorzugt ja die Eisenbahn, da im Flugzeug die "Moleküle so klein werden..."
Der Grund weswegen ich der langsameren und teureren Bahn den Vorzug gegenüber dem Flieger gegeben habe, war nicht nur reine Sentimentalität (ich liebe Eisenbahn), sondern auch die Urne die ich bei mir führte. Ich wollte mir irgendwelche Kontrollen und Formalitäten mit dem Ding sparen. Pustekuchen.
Als mein Blick sich das erste Mal mit dem Blick der am Bahnsteig des "Gare du Nord" wartenden
Flics kreuzte, wusste ich dass sich mich rauspicken würden. Mein Karma. Deswegen fahr ich auch nie schwarz. Zielsicher pickten mich die Kontrolleure aus. "
Sprechensiefranzösisch? Könnenwireinenblickindasgepäckwerfen? Habensieausweispapiere? Habensieirgendwelchewertgegenständeüberfünftausendeurozuverzollen?" spulte der schwarze Polizist seinen Text herunter... "
Was ist das?" "
Äh", stammelte ich, "
äh, die Urne meine Mutter, wollen Sie die Papiere sehen?". Der Pointe wegen, müsste jetzt noch irgendwas passieren, tat es aber nicht. Nein, die Papiere wollten die Polizisten nicht sehen, und ich durfte meinen Krempel auf dem Bahnsteig wieder zusammenräumen und weitermarschieren.
Meine erste Reise mit dem Euro. Cool, kein Umtausch mehr. Also zur Metro runtergegangen, um ein Zehnerpack Metrotickets zu kaufen.
Was ich im neu umgebauten Eingangsbereich der Metro und RER (S-Bahn) des
Gare du Nord sah, verschlug mir die Sprache. Freitags, vierzehn Uhr, und riesenlange Schlangen an den Kartenschaltern. Keine Schlange unter einer halben Stunde. Mindestens. Meinen Adlerblick angeworfen, auf der Suche nach Karten
automaten. Nix. Also zum Eingang der
Metrolinie 4 gelatscht, und siehe da, ein Kartenautomat, und nur zehn Leute in der Schlange davor. Die Schlange löste sich allerdings sehr schnell in ein merkwürdiges Mischmasch auf, mit dem spanischsprechenden Teil der sich um die danebenstehende Karte mit den Tarifzonen versammelte, sowie ein mittelaltes holländisches Ehepaar, dass durch die unglaubliche Komplexität des Automaten (roter Knopf, grüner Knopf, Walze zum rauf-/runter-manövrieren des Cursors) hoffnungslos überfordert war. Nach einer halben Stunde war das holländische Paar, dank einiger englischer Zwischenrufe meinerseits, endlich soweit, als wir alle zur unserer Verblüffung feststellen mussten, dass der Automat kein Münzgeld annahm, sondern nur Karten, und wie ein Versuch der Holländer zeigte, auch keine gängigen Kreditkarten... Ein Fahrkartenautomat auf dem Bahnhof, der weder Münzgeld, noch Kreditkarten annimmt... welch grandiose Idee...
Mein Widerwillen gegen die langen Schlangen vor den Schalter war enorm gross, also zog ich erst im Bahnhof umher. Doch die Suche in den Eingangsbereichen der Linie 5 und 7 offenbarte überhaupt keine weiteren Schalter. Also: selbst ist der Mann, und die Metrobahnhöfe in Paris sind nicht weit auseinander, also aus dem Bahnhof gelaufen, und einfach eine Strasse Richtung Süden genommen, in der Hoffnung nach einigen 100m bereits auf die nächste Metrostation zu stossen.
Es war nicht ganz die nächste Metrostation, und auch eher tausend Meter als einhundert Meter, aber dafür zum einen ein völlig leerer Kartenschalter, und zum zweiten ein Münzgeld annehmender Fahrkartenautomat. Tataaa! Der erste Auslandseinsatz meines Euro-Geldes: un carnet tickets pour la section urbaine für 9€30.
Tausend Meter waren nicht viel, aber genug um mich zu ahnen lassen, das mich der Wetterbericht auf Yahoo ziemlich verarscht hatte. Das bedeckte 10-Grads-Wetter entpuppte sich in Realität als praller Sonnenschein bei zwanzig Lenze. Noch ein Grund mehr von einem ursprünglichen Plan abzukommen. Irgendwie musste ich fünf Stunden Zeit totschlagen, bis mein Onkel nachhause kommt, und ich hatte eigentlich vor vom Gare du Nord gaaaaanz langsam bis runter zur Porte d'Orléans zu laufen, zwischen durch einen Happen zu essen und ein paar Colas hinter die Binde zu kippen. 12 Kilometer zu fuss? No way. Nicht mit der schweren, unhandlichen Sporttasche und dem Wetter...
Also stattdessen mit der
Metro zum "
Gare Montparnasse" gefahren, ebenso wie die "Porte d'Orléans", im Süden Paris liegend, um dort die Sporttasche in die Gepäckaufbewahrung zu geben.
Paris ist Grossstadt, ist Metropole. Dagegen ist Hamburg Kuhdorf, und Berlin jämmerlich. Lärm, Geruch, tausend Eindrücke. Schwarze Leute, braune Leute, gelbe Leute, weisse Leute, quarkige Leute, alles da. Dreck auf den Strassen, Gehupe ohne Ende, verbrauchte Luft in der Metro, immer ein bißchen nach Pisse stinkend. Soll ich was sagen? Ich liebe Paris.
Man steigt in die Metro, gegenüber sitzt eine dicke, schwarze Frau, nicht so alt, aber müde, verbraucht aussehend. In der rechten hält sie eine Orange, in die sie immer wieder reinbeisst, wie unsereiner es allenfalls mit Äpfeln macht. Eine Bank weiter hinten sitzen zwei arabische Jungs. Der eine stopft sich einen Ohrhörer in die Muschel und man hört gedämpft Rai-Musik dünn aus seinem Ohr tropfen. Mir mit dem Rücken zugewandt, ein junges schwarzes Mädchen, mit Rasta-Zöpfen, in irgendwelchen Papieren vertieft. Ich nestel an meiner Jackentasche rum, um zu sehen, ob ich mit meinem Handy hier noch Empfang habe, und werde von einem alten, schwarzen Mann mit Pepita-Hut beobachtet, tief eingefallene Augen, graue Bartstoppel.
Place d'Italie steige ich in die 6 um. Die Metro wird immer voller, aber am Gare de Montparnasse komme ich doch noch heil aus dem Zug raus. Die Tasche wird mit den letzten Resten meines Kleingeldes (natürlich kann keiner Scheine kleinmachen) in ein Schliessfach reingezwängt, jegliche Skrupel ob der in der Tasche hin- und herfliegenden Urne schon längst aufgegegeben.
Mich drängt es irgendwie zu den Comic-Läden am
Boulevard Saint Germain. Ich beschliesse statt auf grossen Boulevards in weitem Bogen lieber kreuz und quer kleine Strassen entlang zu gehen, um auf direktem Wege dorthin zu kommen. Plötzlich finde ich mich an einer Ecke des "
Jardin de Luxembourg" wieder, und ich entsinne mich, dass ich bei meinem letzten Besuch einen gutsortierten US-Comicladen
am anderen Ende des Parks entdeckt habe. Also gehe ich in den Park hinein. Und der Park ist voll. Voll mit alten Leuten die einfach nur durch die Gegend starren, und das pralle Leben beobachten, junge Leute, die ein Schwätzchen halten, und Sonne tanken, sowie unzählige kleine Kinder die umhertollen.
Es gibt Eisstände, einige Tennisplätze, einen Basketballplatz, Ponys auf denen kleine Kinder gegen ein paar Euro durch den Park geführt werden. Nicht schlecht: auf Anhieb den Parkausgang gefunden, wo ich die Strassenkreuzung vermute, mit der Seitenstrasse die mich zum Laden führt. Noch besser: es war die korrekte Strassenkreuzung, die korrekte Seitenstrasse, und der Laden "
Arkham Comics" war auch noch da.
Jetzt galt es noch ein gemütliches Bistro zu finden. Wieder querbeet durch die Stadtviertel gelatscht um in einem weiten Bogen auf den Bahnhof wieder zuzustossen. Es ist so vier Uhr herum gewesen, als dann Schulen Schluß hatten. Egal ob Schule, Gymnasium oder Fachschule, über all das gleiche. Die Schulen sind in alten Gebäuden in kleinen Strassen. 10-20m bei den Eingangstüren, ist die Strasse abgezäunt, um entweder ein Vollparken der Strassen oder ein gnadenloses rüberlaufen der Kids zu vermeiden. Egal ob gross oder klein, es ist dann immer laut. Ein aufgeregtes Plappern liegt in der Luft. Noch letzte Geschichten die man austauschen muss, oder Verabredungen für heute abend. Heute abend gkönnte man zweifelslos gut was machen, den es verspricht ein sehr schöner, und angenehmer Abend zu werden. Die Kleinen werden dann von ihren Müttern an der Hand weggezerrt und über die Strasse geschleift, wo die Schullotsin gerade den Verkehr anhält. Die Grossen lehnen sich noch lange gegen das Absperrgitter, oder Wände der Schule, ziehen an ihren Kippen. Eine Stimmung die was angenehm relaxtes hat.
Weltfrauentag, irgendwo an einem Ende eines grossen Boulevard wurde eine Versammlung von arabischen Frauen abgehalten. Ich habe dann ein Bistro am
Boulevard Pasteur gefunden, ass ein Sandwich, trank Cola, las
Le Monde. Die arabischen Frauen wurden mit Blaulicht und in Reisebussen von ihrem Versammlungsort weggekarrt. Nach einer Stunde machte ich mich auf dem Weg zum Bahnhof, es war inzwischen halb sieben geworden.
Der Weg nachhause.
Ich holte meine Sporttasche aus dem Schliessfach, und mühte mich und die Tasche zum Apartment zu schleppen. Wieder beschloss ich nicht einfach die Hauptstrassen entlang zu gehen, sondern im Zickzack-Kurs auf das Ziel zuzuhalten. Die Dunkelheit brach ein, es war wie ein schöner Sommerabend. Ich kannte einige Teile des Viertels von meinem letzten Besuch. Die Neubauten sind aus irgendeinem Grund sehr spanisch, sehr südländisch angehaucht. Bei meinem Fussmarsch merkte ich, dass das ganze Viertel im Grunde genommen mir "irgendwie spanisch" vorkam. Keine ganz alten Häuser, alles sehr viel heller als sonst in Paris wirkend, immer wieder ein kleiner Strassenplatz. Völlig abstrus wurde es an einer Ecke. Es war dunkel geworden, und ich ging eine kleine Strasse entlang, die in einer grösseren Strasse mündete. Die Häuser dieser grossen Strasse waren alle in lindgrün angemalt. Es hat eine Weile gedauert bis ich begriff, dass dort alles lindgrün war. Auch Autos, Fenster, Fussgänger. Nebeneffekt einer extrem heftig strahlenden Neonreklame für eine Apotheke...
Zur meiner Überraschung machte ich mit meinem Zickzackkurs eine ziemliche Punktlandung, und kam am "Place d'Alésia" heraus. Wieder eine brüllend laute Hauptstrasse, die "Avenue Gènèral Leclerc". Es war inzwischen komplett dunkel, und die Strassen waren voll mit Angestellten die aus ihren Büros heimkehrten und noch auf Feierabendeinkäufe gingen. Die Boulangerien wurden langsam, aber sicher leergekauft. Es war eine sehr strange, aber zugleich angenehme Mischung aus Betriebsamkeit und Entspanntheit.
Alles war noch da, so wie ich es kannte: das Restaurant zur Rechten mit dem Austernstand draussen, der gute "Continent"-Supermarkt zur Rechten, der bilige "Leader price"-Supermarkt zur Linken, das Steakhaus schräg gegenüber, die feineren Modegeschäfte und Banken hinter dem Supermarkt.
Dann stand ich vor dem Haus meines Onkels. Dummerweise war er noch nicht da, also noch mal ein halbes Stündchen in einem Bistro trinkengegangen. Dann wieder zum Haus marschiert, an der Eingangstür "57a34" eingegeben. Die Tür summt, und man kann den Vorraum betreten. Dann die Klingel meines Onkels betätigt. Diesmal war er da. Nach vier(!) weiteren abgeschlossenen und aufgesummten Türen und einem Fahrstuhl, war es dann soweit: ich war im Appartement.
Der Fernseher liefm, und mein Onkel sah sich die Hauptnachrichten-Sendung an. Danach lief der Wetterbereicht, mit den Daten für den morgigen Tag. Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Namenstag. Françoise. Morgen hätte meine Mutter Namenstag gehabt.
Samstag, 9.3.
Ein grausiges Aufwachen. Mitten in Paris, um halb sieben durch Vogelgezwitscher aufgewacht. Eine
Drossel (vorher noch nie gehört) hat direkt neben den Fenster seine markanten Morgengesänge durchgeführt. Nichts gegen kleine Kinder und Vogelgesang. Nachdem man sich dreimal im Bett rumgewälzt hat, hat man sich auch mit seinem Schicksal abgefunden und will der kleinen Bestie nicht mehr die Stimmbänder rausreissen.
Mein Onkel hat mir erklärt dass die Gebäudewand neben meinem Fenster verspiegelt ist, und die Drossel sich auf das Geländer gesetzt hat, und ihr Spiegelbild angezwitschert hat. Na gut, akzeptiert. No one was harmed.
Hatte zwar eine grössere Shopping Tour vorgehabt, aber da ich bereits am ersten Standort fündig geworden bin, und mehrere hundert Euro losgeworden bin, bin ich schnell zurückgekehrt.
Läden rund um die Rue Dante
Rund um den Boulvard St.Germain und vorallen der Rue Dante, hat sich eine exquisite Einkaufsviertel gebildet: Comic-Läden noch und nöcher. Der eine Grossladen hat sich auf US-Comics spezialisiert, der andere auf der gegenüberliegenden Seite auf frankophone Comics.
Insgesamt bin ich vom Niveau der US-Comics angenehm überrascht. Nach einer ganz, ganz bitteren Zeit, wo überhaupt nix passierte, und jedermann einen auf McFarlane oder Jim Lee macht, und dann einer kurzen manga-beeinflussten Phase, haben sich jetzt die diversen Einflüsse in einer grossen Bandbreite niedergeschlagen. Die McFarlane-adpeten gibt es immer noch, genauso wie auch Manga-Jünger, oder Zeichner die eher europäisch beeinflusst sind.
Karate-Elvis
Auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für den "Grossen" bin ich drei Häuser weiter über einen Laden gestolpert, der nichts anderes als Modellfiguren/-Sachen aus dem Bereich Comic/Film/Sport verkauft. Für den "Grossen" schwankte ich zwischen einer Figur von KISS- oder Metallica-Figuren, oder dem Ford-Wagen aus Steve McQueens "
Bullit". Es wurde dann doch ein "
Karate-Elvis" (Elvis Presley war Anhänger fernöstlicher Nahkampfsportarten und Träger irgendeines Gürtels). Jenny, wenn du das vor der Übergabe lesen solltest: nicht petzen!
Und wieder schräg gegenüber gab es einen DVD-Laden, mit sowas von haste-noch-nicht-gesehen-Auswahl. Ein kleiner Laden, und trotzdem hatte man den Eindruck die haben alles gehabt: aberwitzige Pornos, diverses japanisches (z.B. alles von Takeshi), diverse B-Filme aus Amiland...
Wieder bin ich zurück zu Fuss, wieder im weiten Bogen, diesmal aber einen Bogen nach Osten. Am Boulevard St.Germain bin ich über einen Markt gegangen. Es war pervers. Ein Ding duftete besser als das andere. Geflügel, Fleisch, Fisch, Obst, Brote, Gebäck... Seufz. Ich schlug dann südliche Richtung ein, und geriet etwas später zufällig auf die Rue Mouffetard, eine bekannte schmale, aber lange Gasse, Fussgänger-only, ebenfalls mit vielen Leckereien ausgestattet. Was veranstalten die Franzosen nur mit den Hähnchen dass die schon auf der Strasse so unglaublich duften? Ich glaube ich sah etwas peinlich aus, mit den halbgeöffneten Augen, dem offenen Mund und der herabhängenden Zunge von der immer wieder Speichel herabtropfte.
Denfert-Rochereau bin ich dann wieder auf die Avenue Gènèral Leclerc gestossen. Leider war der grosse Zeitschriftenladen nicht mehr da.
Sonntag, 10.3.
Einen Spaziergang durchs 20te Arrondisment habe ich wg. Bocklosigkeit und mangelnder Zeit aufgeschoben. Um halb fünf wollten wir zu meinen Grosseltern rausfahren. Also war es vorallen ein Fernseh-, Laptop- und Lesetag. Schön zu sehen das "
Canal plus" nicht komplett den Bach runtergegangen ist, sondern immer noch über zwei sehr vorzeigbare Sendungen verfügt. Erstaunlich, erstaunlich, aber das beste französische Politmagazin "
Le vrai journal" wird von
Endemol produziert! Eine Sendung irgendwo zwischen "ZAK!" und "Extra Drei", nur bissiger und mit längeren Beiträgen.
Dann ging es mit dem Auto raus. Halb fünf, der Ausflugsverkehr drängte nach Paris wieder rein. Das Appartement meines Onkels liegt nur einen Steinwurf von der
Porte d'Orléans und damit auch nahe an dem Stadtring, dem "Boulevard Pèripherique", und dort wiederum nur wenige hundert Meter vor der Abfahrt zur Autobahn. Während die Gegenfahrbahnen voll fahren, konnten wir unbesorgt Kilometer fressen. Mein Onkel hat "
Chérie FM" eingeschaltet, einer der Klonsender, mit den "besten Hits der Achtziger". Na ja, nicht jeder kann meinen guten Musikgeschmack haben.
Ich habe von der Fahrt nicht allzuviele Fotos geschossen. Das will ich mir für die Rückfahrt aufheben, denn abends kommt das herannahende Paris besser, als das sich entfernende Paris am Nachmittag...
Begradigt, begradigt, begradigt. Vieles entlang der Strecke wurde noch autofahrerfreundlicher gemacht. Hier mehr Fahrspuren, dort ein Mittelstreifen mehr. Alleine auf dem ca. 50km langen Abschnitt auf der Route National 6 habe ich fünf neue Ortsumgehungen festgestellt, die alle nach dem selben Schema um die kleinen Dörfer gelegt wurden. In
Pont sur Yonne dann links raus. Auch hier eine neu asphaltierte Landstrasse. Obwohl von ca. einem Auto pro Minute benützt, wurde die Strasse neu verlegt. Hügel wurden durchgeschnitten, Böschungen aufgeschüttet, um den Autos die kleinen Steigungen zu ersparen. Links von uns die TGV-Linie Paris - Lyon, und links davon die Autobahn Paris-Troyes. Auch das ist neu: kurz vor Sens geht ein Verbindungsstück zur anderen Autobahn, der A6 Paris-Lyon, ab. Dann kommen wir in
Soucy an. Um den Verkehr (welchen Verkehr?) abzubremsen, sind alle naselang Stopp-Schilder angebracht, und die Verkehrsführung durch Einbahnstrassen derartig kompliziert, das man bestimmt irgendwo im Ort verhungerte und verdurste Fahrer-Leichen in ihren Autos rumliegen sieht.
Die letzten Meter sind aber altbekannt. Die Hauptstrasse, dann vor der Scheune rechts in die Route des Voisines rein. Zwei Biegungen später taucht das eine weisse Haus links auf.
Das fortgeschrittene Alter kann nicht nur an meine 92- und 93 Jahre alten Grosseltern festgemacht werden, sondern auch an der Umgebung. Meine Grosseltern sind natürlich nicht mehr in der Lage den grossen Obst- und Gemüsegarten zu kultivieren. Keine Stachel- und Johanisbeeren, keine Pfirsiche, keine Kirschen, kein Salat, keine Erdbeeren, keine Radieschen. Nur noch Gras und Nadelbäume.
Hinterm Haus ist auch kein grosses Getreidefeld mehr. Der Landwirt hat Teile des Grundes an die Stadt verkauft, die wiederum dieses als Grundstücke weiterverkauft hat. Dort, quasi im Nirgendwo, sind nun leerstehende Mehrfamilienhäuser entstanden. Drei Stück, alle nach dem selben Bauplan. Den Weg hinterm Haus bin ich einst entlang gegangen, um zum Wald zu laufen. Kurz vor dem Wald war noch ein Einfamilienhaus. Modern, aber nie hat man Leute dringesehen. Nun ist dieser Weg abgeschnitten. Von einer Autobahn, den Bauten der Autobahnmeisterei und einem kleinen Kieswerk. Modern Times. Immerhin hört man nix von der Autobahn.
Mein Onkel Joel und meine bei den Grosseltern lebende Tante Mimi haben mich vorgewarnt dass Opa und Oma etwas eigen geworden sind. Sie vergessen vieles und sie vergessen es schnell. Mich siezen sie. Fragen mich manchmal was ich in der Schule so lernen würde. Alles in allem aber nix was ich nicht aus meiner Zivildienstzeit im Altersheim erwartet hätte.
Am Abend gibt es dann französische Küche, zumindest soweit es die Diäten meiner Grosseltern erlauben. So gibt es zum Beispiel keine Suppen. Als "Entrée" gibt es Radieschen. Danach etwas was nach gekochten Tiergeschlechtsteilen aussieht, wie Rinderleber schmeckt, sich aber als Rinderniere entpuppt. Erbsen und Karotten, Käse (viel ziemlich widerlich-aussehender Käse) und Früchte.
Wegen Müdigkeit beschloss ich darauf zu verzichten mir irgendwelche minderwertigen Fernsehprogramme (nur fünf Sender! Arghhh!) mitanzusehen, und ging um Neun ins Bett.
Montag, 11.3.
Arschlochkarte gezogen. War der zweite der aufgestanden ist, direkt nach meinem Grossvater. Krampfhaft bemüht Konversation zu machen. Nicht zu schwer für mich, damit es noch im Rahmen meines Vokabular bleibt, nicht zu schwer für meinen schwerhörigen Opa. Nach anderthalb Stunden zurück nach oben gegangen, in mein Zimmer, und Comics gelesen. Die Motten vom Vorabend klebten immer noch am Fenster.
Das Bett war eine Qual. Französische Betten sind eigentlich nicht schlecht. Wenn sie gross sind. Wenn nicht, sind sie die Hölle. Man kennt keine Bettdecke im eigentlichen Sinne. Stattdessen wird ein zweites Bettlaken quer übers Bett gespannt, darüber dann noch, in meinem Falle, vier Schichten an Decken. Der Schläfer muss sich dann zwischen erstem und zweitem Bettlaken quetschen. Wenn das Bett nun klein ist, in meinem Falle war es ca. 90 x 200cm gross, hat man im Bett null Bewegungsfreiheit. Das zweite Bettlaken ist derart straff gespannt, das man Probleme hat die Arme zu bewegen, von dem aufgrund der vier Decken auf einem lastenden Gewicht ganz zu schweigen. Ich bin niemand der Platzangst bekommt, aber nun war es soweit. Mühsam erkämpfte ich mir Millimeter für Millimeter Bewegungsfreiheit. Genug zum überleben, zuwenig zum sanften Schlaf. Ich bin mindestens fünfmal aufgewacht. Immer wieder versuchte ich das obere Bettlaken zu lockern.Stattdessen wurde mir obenrum kalt. Wie ich am morgen dann sah, waren drei der Decken in der Nacht runtergefallen, was ich so weder an Gewicht noch Bewegungsfreiheit spürte.
Ich wurde immer trübsinniger, um halb elf war es dann soweit, wir mussten zum Friedhof fahren. Meine Grosseltern wollten nicht mit. Nun verstand ich auch warum sie bereits am Vorabend da drauf bestanden die Urne bereit su sehen. Ich mache mir permanent Sorgen vorsichtig mit dem Thema umzugehen, auch gerade wegen meinen Grosseltern, die mit meiner Mutter nun das erste ihrer Kinder verlieren. Aber so wie es aussieht, bin ich eigentlich derjenige der immer noch davon am meisten angeschossen ist.
Mit der Urne im Auto fuhren wir fünf Minuten ans andere Ende des Dorfes. Es ist derselbe Weg wie zur Kart- und Motocrossbahn raus. Kurz ausserhalb des Dorfes gibt es ein neu umzäuntes Gelände mit frisch verlegtem Rasen, ungefähr ein halbes Fussballfeld groß. Am Ende zum Eingang hin, finden sich sieben frisch aussehende Gräber und Grabsteine, sowie ein mit Beton-Ringen gestütztes Erdloch. Eine Mitarbeiterin der Gemeinde ist gekommen, spricht ihr Beileid aus. Zwei Maurer stehen da, nehmen die Urne und setzen sie ins Grab hinab. Genau, ins Grab. 1x2m gross, für eine Urne. Dann werden vier Betonplatten über das Grab und die Beton-Ringe gelegt, und frischer Mörtel oder Beton um die Platten herumgespachtelt. Das Grab ist geschlossen. Ein Gesteck wird daraufgelegt. Ich schau mich um. Der neue Friedhof liegt etwas weiter ausserhalb. Es ist nichts dörfliches zu hören. Nur Vögel und ein leichtes Rauschen von Autos. Man sieht eine hügelige Landschaft, Wälder im Hintergrund. Im Vordergrund sieht man zwei kleine Landstrassen, die alle beide über bzw. unter der Autobahn durchführen. Die Autobahn durchschneidet die Landschaft, ignoriert alle Hügel, alle Geländeformationen. Wenn man auf das Grab sieht, bemerkt man aus dem Augenwinkel immer wieder wie grössere LKWs die Autobahn von rechts nach links und von links nach rechts durchfahren.
Ich denke mir meinen Teil. Und als ich denke dass ich für mich ein gutes Schlusswort gefunden habe, trete ich zurück.
Meine Lust zu sprechen, sollte für den Rest des Tages nicht mehr sehr ausgeprägt sein. Die Mahlzeiten kommen mir vor wie "Täglich grüsst das Murmeltier". Meine Oma macht die exakt gleichen Bemerkungen wie am Vorabend, beim Abendessen: Wie hiess nochmal der kleine Enkel von Cecille? Die Kleine hiess Aurore, und der Junge... Richtig, Maxence. Ich glaube dass ist ein belgischer Name, oder? Die Mutter kommt doch aus Belgien, oder?"
Ich bewundere Mimi, dass sie nach dem Tod ihres Mannes freiwillig aus Bordeaux zu meinen Grosseltern gezogen ist. Im Grunde genommen ist das Selbstmord auf Raten. Was soll sie noch gross Erleben? Mitte fünfzig, Krankenschwester, pendelt nur zwischen Krankenhaus, Einkaufszentrum und Grosseltern hin- und her.
Warum macht man sowas?
Am Abend spricht mich mein Grossvater an. Woher ich denn meine Mutter kennen würde? Ob ich in den Sechzigern mit ihr zusammen in Algerien gewesen wäre. Oh-Oh. Grandpa hat wieder einer der Aussetzer, von denen meine Verwandten sprachen. Und die in den letzten Monaten zugenommen haben.
Was soll man dem Mann antworten, ohne ihn wie ein Trottel dastehenzulassen. Also habe ich mich wie ein Aal gewunden, und irgendwas davon gefaselt, das ich meine Mutter nicht aus der Algerienzeit kenne, sondern erst später. Nachbohren von meinem Grossvater. Fünf Minuten später verabschiedet er sich endlich ins Bett, und mein Onkel wirft mir einen mitleidsvollen Blick zu.
Im Fernsehen läuft eine Sondersendung zu den Präsidentenwahlen in einem Monat.
Jacques Chirac wird eine dreiviertel Stunde lang nur mässig energisch interviewt. Der Wahlkampf hat Zündstoff bekommen, weil Sozialisten-Kandidaten und Premierminister
Lionel Jospin auf einer Wahlkampfreise nach La Réunion im Flugzeug angeblich "off-the-records" gesagt hat, dass Chirac alt (69 Jahre), schlaff und abgenutzt erscheint (
BBC News). Chirac hat im Interview darauf geantwortet, dass er sich nicht auf dieses Niveau begibt, und er seinerzeit Respekt vor dem Amtsinhaber Mitterand gezeigt hat. Leider versäumen es die beiden Journalisten nachzuhaken, denn Chirac hat vor sieben Jahren gegen den über Achzigjährigen Mitterrand ebenso auf die Karte "Alter" gesetzt, wie jetzt der 64-jährige (aber jünger wirkende) Jospin. Chirac nannte die Methoden des Wahlkampfes von Jospin "faschistisch".
Super-Menteur
"
Les Guignol des Infos", eine der besten Satire-Sendungen ever, und das seit Jahren, greift die Rhetorik von Chirac auf. Und wann immer er aufgrund seiner Affären in Erklärungsnot ist, verwandelt sich Chirac in den Superhelden "
Super Menteur" -- Super-Lügner.
Für viele ist das schon die Überschreitung einer Geschmacksgrenze. Darauf im Interview angesprochen, erklärt er dass er sich nicht dazu äussern werde, dies sei Meinungsfreiheit.
Witzigerweise hieß es bereits bei den Wahlen vor sieben Jahren, dass erst die "Guignols" Chirac zu Sieg verholfen haben, weil sie ihm in den Persiflagen ein Profil gegeben haben.
Sachfragen? Gab es bislang kaum. Chirac scheint, mit Hilfe des ersten Fernsehprogrammes, die innere Sicherheit thematisieren zu wollen. Ansonsten befinden sich Chirac und Jospin in der Zwickmühle das beide Amsträger sind, und beide sieben, bzw. fünf Jahre Zeit hatten Politik auszuführen. Sie können also schlecht Themen aufgreifen, ohne sich selbst ans Bein zu pinkeln. Erstaunlicherweise sind aber die Kandidaten anderer Parteien schwächer als je zuvor. Der "Souveränist"
Chevènement hat innerhalb von Monaten seine Umfrageresultate von 14 auf 9% halbiert, wird eingeholt von der Trotzkistin(!)
Arlette Laguiller.
Ich zeige nach dem Abwasch meiner Tante die Photos aus der Wohnung meiner Mutter, damit die Familie Gegenstände markiert, die ich dann für die Leute aufbewahre.
Dienstag, 12.3.
Ich schlafe etwas besser (obwohl ich dreimal aufgewacht bin, und versucht habe mir etwas mehr "Luft" zu verschaffen). Halb Acht wache ich auf. Aber nach gestern habe ich nicht sonderlich viel Lust eine Stunde alleine mit meinem Opa in der Küche zu verbringen. Ich bleibe oben, und lese.
Papierkram-Tag ist angesagt. Ich fahre mit meinem Onkel nach Sens, zum Hauptpostamt, um das Postsparbuch meiner Mutter loszueisen. Überraschenderweise stossen wir auf hilfsbereite und kompetente Schalterbeamte. Der Beamte ruft seine Vorsteherin herbei, die wiederum Rücksprache mit der für Überschreibungen zuständigen Person in Dijon (Sitz der Postzentrale der Region Bourgoigne) hält. Danach sehen wir klarer. Wir wissen was wir noch brauchen, wir haben Ansprechpartner und Telefonnummern. Das erste Mal das ich Hoffnungen hege, die ganze Geschichte könne in drei Fahrten nach Frankreich erledigt werden.
Danach fahren wir wieder zurück, mit Umwegen. Wir halten in einem grossen Cash'n'Carry-Markt. Diese Kategorie Vorstadt-Supermärkte nennt sich in Frankreich "Hypermarché" - Hypermarkt. Ich kaufe Würste und Pasteten für 20%euro; ein. Wir fahren anschliessend zum Friedhof, um auf Wunsch meiner Tante das Grab und den Kranz zu photographieren.
Nach dem Mittagessen, u.a. Mit
Avocados in Vignaigrette, ziehe ich mich aufs Zimmer zurück, und fange an die Tonnen von Mails aus Mailinglisten zu lesen, die in den letzten Wochen aufgelaufen sind. iTunes spielt leise
Matthew Herbert vor sich her. Mein Blick fällt immer wieder auf die weisse Katze im Garten gegenüber. Morgens, wenn ich frühstücke, fläzt sie sich auf der Mauer herum, und sonnt sich. Danach verschwindet sie immer wieder, um dann wieder auf der Mauer aufzutauchen.
Gegen 16 Uhr fange ich an das Zimmer aufzuräumen, und die Sporttasche zu packen. Ich gehe dann wieder runter zur Küche, um langsam den Abschied vorzubereiten. Um die Zeit totzuschlagen gehe ich ins Wohnzimmer, lese in einer Fernsehillustrierten, als mein Opa aufkreuzt und mir die Hand hält. Ich solle mir keine Sorgen machen, er würde das mit der Wohnung in der Hand nehmen, und den Abtransport der Sachen organisieren. Hmm. Also hat man ihm die Photos gezeigt. Wir umarmen uns, und nehmen Abschied voneinander. Da kommt meine Oma reingeschlürft, und flennt hemmungslos, ehe sie sich erschöpft auf einen Sessel fallenlässt. Meine Tante erklärt, dass meine Oma jetzt wieder begreift dass eine ihrer Töchter tot ist.
Abschied, so kurz und schmerzlos es geht. Im Auto seufzt mein Onkel auf. Wir haben es hinter uns, fahren gen Paris. Das erste Mal seit meiner Ankunft, ist der Himmel bedeckt, es fallen schnell einige Tropfen. Der Himmel wird immer trüber. Wir fahren wieder gegen den Autostrom (Rush-Hour, Verkehr stadtauswärts) und kommen gut voran. Ich wechsle den Radiosender um endlich wieder Nachrichten zu hören. Auf
France-Info melden sie dass die letzten Tage 38 Menschenleben in Israel/Palästina gekostet haben. Mein Onkel versteht es nicht. Ich auch nicht. Die Scheibenwischer werden eingeschaltet, wird sind auf der A6, 30km vor Paris. Die Strasse ist längt zu einer zwölfspurigen Schneise geworden.
Wir sind wieder zuhause. Ich gehe in den Supermarkt um noch Verpflegung für die 8stündige Eisenbahn-Fahrt zu kaufen. Vanille-Kekse, Orangensaft, in Plastig eingeschweisste Kopenhagener. Und für das Abendessen zwei Quiche Lorraine und eine Apfeltorte. Das mit der Quiche Lorraine war keine sonderlich gute Idee, zwang es noch meinen Onkel den Backofen sauberzumachen.
Nach dem Essen, geht es zum Fernseher. Mein Onkel hat keinen Decoder, also muss ich auf einem streifenförmigen Bild erahnen welche Championsleague-Partie gerade gezeigt wird, wie der Spielstand ist, wer gerade am Ball ist. Was aber trotzdem überraschend gut klappt. Die Verzweifelung Arsenal Londons ist zu spüren, aber es bleibt beim 0:2 gegen La Coruna. Am 3:1-Sieg der Leverkusener zeigte man in der Konferenzschaltung kaum Interesse.
Mittwoch, 13.3.
Auch ohne Wecker bin ich pünktlich wach geworden, und der ganze Morgen zeigt "smoothes" Timing. Viertel vor Acht nehmen ich und mein Onkel Abschied. Ich laufe ca. 15 Minuten zur nächsten
RER-Station. Damned. Ich habe das Gewicht meines inzwischen mit Comics, Magazinen und Lebensmittel gefüllten Taschen unterschätzt. Der Schultergurt frisst sich in meine Schulter ein. Permanent muss ich den Gurt verschieben, zweimal absetzen. Aber da bin ich ganz Beisser. Ein Terrier von
Vogts'schen Dimensionen. Ich schleppe mich zur RER-Station "Cité Universitaire". Ich bin nassgeschwitzt.
Das Problem mit Koffern und Rucksäcken, sind die kleinen Sperren an den Ein- und Ausgängen der Metro und RER, in denen die Tickets entwertet werden. Diese sind, abgesehen von den Bahnhöfen, eigentlich nicht Reisegepäck-kompatibel. Vor Jahren wäre ich fast an der Station "Saint Michel" deswegen verreckt, weil ich mit einem Rucksack in so einer Sperre eingeklemmt gewesen bin, und weit und breit kein Personal zu sehen war. Zwei Menschen haben mich mit vereinten Kräften rausgedrückt. Das grössere Problem sind dabei umgehängte Taschen. Sporttaschen sind ganz okay, weil man diese, je nach Sperren, per Fusstritt unten durchkicken, oder senkrecht vor die Brust halten kann.
Als dann die erste RER einfuhr, ahnte ich, dass ich ein noch viel grösseres Problem haben würde. Rush-Hour. Keine Chance mit Taschen in den Zug einzusteigen. Ich setzte meine Hoffnung auf die Zugfrequenz. Alle drei Minuten würde eine neue RER kommen. Da wird ja wohl was dabei sein... Bereits zwei Minuten später der nächste Zug. Shit. Fast genauso voll. Soll ich hier ewig warten? Die Menschen machen nicht den Anschein Platz machen zu wollen. Also Arroganz und Kühnheit zeigen: Tasche voraus mit Schwung in den Wagen eingestiegen. Schau an, die Leute weichen zurück. Und die Leute auf den Klappsitzen fühlen sich noch nicht mal bemüssigt aufzustehen. Ich muss inzwischen stinken wie eine Herde Büffel. Mein Deo erlebt gerade sowas wie den GAU.
Der Gott des Verkehrswesens hat ein Einsehen, und lässt Chatelet mehr Leute aus- als einsteigen, und auf der Fahrt zum Gare du Nord ist endlich sowas wie Platz. Mein Short klebt am Körper. Ausstieg. Einige Rolltreppen sind wegen Bauarbeiten gesperrt, ich schliesse mich hinten an einer Schlange an, und bin eine Minute später auf eine Rolltreppe nach oben. Ich liege gut in der Zeit. Eine Sperre zum Entwerten des Tickets, und eine letzte Sperre zum Verlassen des Metro/RER-Bereiches des Bahnhofs.
An einem Kiosk halte ich. Ich kaufe Lesestoff. Die
L'Equipe, die
Libération und die
Le Monde. Leider gab es keine SZ, also musste es die
FAZ sein. Immerhin bereits die Mittwochausgabe.
Auf der Anzeigetafel wird das Gleis des Zuges noch nicht angezeigt. Ich gehe zu einer der orangen Säulen und schiebe mein Eisenbahnticket rein, um es zu entwerten. Zehn Minuten später wird der Zug angekündigt. Ich habe natürlich den Wagen ganz vorne erwischt, drei Stunden Fussmarsch bis ich ihn erreicht habe. Ein sonderbares Abteil am Kopf des Wagons. Ich sitze dummerweise an einem Tisch, es ist noch beengter als auf der Hinfahrt.
Gegenüber sitzt ein Junge mit englischem Roman. Der sieht sowas von milchbubihaft aus, dagegen sind die
Kinder der Waltons Charakterköpfe. Schräg gegenüber eine dünne, blonde Frau, kurze Haare, mit einem französischen Buch. Fuhr bis Köln und reiste dort weiter bis nach Dortmund. Neben mir ein älterer Herr, der die L'Equipe liest, und etwas verduzt schaute, als ich ebenfalls die Equipe zückte. Und noch verblüffter war, als ich danach die FAZ rauszog. Am anderen Tisch ein deutsches Paar das sich recht laut unterhielt, und sich immer über die verschiedenen Akzente der Zugdurchsagen lustig machte. Dabei war der Typ selber polyphon. Deutsch, französisch, englisch und spanisch. Beide machten einen sehr Yuppi-haften Eindruck. Haben wohl in Paris ein Shooting gehabt, und fuhren zurück zur Agentur nach Köln. Andauernd Handygespräche.
"Audition"
Die Libération
lobt den Film "
Audition" (Odishon), den mir Jan letzte Woche empfohlen hat. Ein Witwer. Er veranstaltet eine "Audition" mit weiblichen Schauspielern als Vorwand, um sich eine neue Frau zu suchen. Er wird fündig. Eine Frau die auf perverse Spiele steht. Und sie hat immer ein merkwürdiges Säckchen bei sich, mit so kleinen Dingen... Sie injiziert den Männern Mittel die sie nicht besinnungslos, aber regungslos macht. Und fängt dann an mit einer Sägeschnur Gliedmasse abzutrennen... (Mehr in der
Bonner Kinemathek)
Wir kamen pünktlich in Köln an, das Umsteigen in den IC stellte kein Problem dar. Der IC war leidlich voll. Wieder sass ich entgegen der Fahrtrichtung. Viele alte Leute im IC. Der IC "Gorch Fock" fuhr die "Ostroute", also über Wuppertal und nicht über Düsseldorf.
Wuppertal beeindruckt mit den Hügeln, der Schwebebahn, und der Industrie entlang der Wupper. Der Zug wurde immer voller. In Dortmund war es dann soweit, und ich hatte einen Sitznachbar. Einen Russen. Machte den Eindruck als wäre er Halbbruder der
Klitschkos. Das Lesen im
SPIEGEL-Buch hat mich ermüdet, und ich schloss die Augen, wärend der Zug durch die westfälische Landschaft fuhr. In Bremen stieg Klitschko aus. Der Zug wurde noch voller. Nun setzte sich neben mir ein blutjunges Mädchen hin, die Freundin in der Reihe dahinter. Sie hatte eine vulgäre Stimme, und las irgendein Taschenbuch mit Gruselstories "nach Tatsachen". Ich las weiter.
Hamburg Dammtor, Ausstieg. Bus kam sofort. Hoheluft. Zum Büro. Büro leer, weil alle im Konferenzraum zur Besprechung. Ich lade meine Mails runter. Tausend Stück. Weil das Kündigen bei drei Mailinglisten nicht geklappt hat. Rufe sk an. Bin wieder wieder da. Irgendwie. Irgendwie doch nicht.