[03h37] Movie -- „
Everyone wants to be found“ Ich bin recht froh, dass „
Lost in Translation“ erst 2004 anläuft, so erspare ich mir tiefe Grübelei ob mein persönlicher Film-Favorit des Jahres 2003 „
Punch-drunk love“ oder „Lost in Translation“ ist.
Bill Murray + Scarlett Johansson
Please, tut euch einen Gefallen: Möglichst wenig Leute, möglichst große Leinwand. Leute im Saal mit Schenkelklopf-Humor sind bei diesem Film wirklich kontraproduktiv. Um eine Ahnung zu geben: man schaue sich obiges Original-Filmplakat an, und dann die deutsche Fassung des Filmplakats. Selbes Motiv, allerdings zugekleistert mit Pressegejohle wie „brüllend komisch“. Wenn es ein unpassendes Wort zu diesem Film gibt, dann ist es „brüllend“.
Zweite Bedingung: Originalversion anschauen. Nicht nur dass wir auch hier ein Stimmlagen-Problem haben (ähnlich wie Toby Macguire ist auch Frau Johansson nur im Original wirklich fassbar), ein Großteil des Filmes beschäftigt sich mit „Culture Clash“ und Sprache. Die Reibungsverluste die durch die Synchronisation auftauchen, sind Legion. Die putzigen Deutschen in der Sauna werden in der Synchro bestimmt zu Sachsen oder Schweizern mutieren... HARHAR. Brüllend komisch!
Der Film. Bill Murray spielt Bob Harris, einen alternden Filmschauspieler, der auf seinen alten Tagen in Japan zu einem populären Werbeträger für Whiskey wird. Für Werbeaufnahmen fliegt er nun das erste Mal nach Japan. Er kommt übermüdet an und versteht die Welt nicht. Er versteht das Land nicht, er versteht die Leute nicht. Er ist genervt, hat eigentlich keinen Bock, ist aber Profi. Er schlägt sich zwischen den Aufnahmen die Zeit im Hotel tot.
Scarlett Johansson a.k.a. „Charlotte“ ist Ehefrau eines Photographen der den ganzen Tag irgendwo in Tokyo Musiker schießt. Das was beide führen, ist eigentlich keine Ehe mehr. Charlotte langweilt sich, fragt sich immer mehr was sie in Tokyo und was sie in einer Ehe macht.
Was dann folgt, hat Billy Wilder mal erschöpfend mit „man meets woman“ beschrieben. Beide unternehmen Ausbruchsversuche aus dem Alltag und aus dem Hotel. Ein Roadmovie durch die Stadt. Aus Sympathie wird Liebe. Was aber nicht sein darf, weil sie wissen dass sie dadurch alles, auch sich selbst, zerstören würden. Und so bleibt es lange Zeit unausgesprochen.
Dieser Prozeß der Annäherung, des Herantastens, mitten in der lärmenden Umgebung, ist das sensibelste Stück Film was ich seit langem gesehen habe und das mich zugegebenermaßen ziemlich anfasst.
Es sind die kleinen Gesten. Charlotte liegt, inzwischen eingeschlafen, in Murrays Bett, in krummer Embryo-Haltung, Murray zugewandt. Murray liegt auf dem Rücken, starrt ins Zimmer und streckt mit einer kaum merklichen Bewegung die Finger aus um den rechten Fuß von Charlotte zu streicheln.
In der Abschiedsszene nimmt Murray Charlotte in seine Arme. Die Kamera zeigt Köpfe und Schultern, Charlotte mit dem Rücken zur Kamera und einer dunklen Jacke. Man sieht wie Murray Charlotte an sich drückt, man sieht das verbrauchte Gesicht von Murray und auf der dunklen Jacke von Charlotte die alte Hand von Murray, zerfurcht und gezeichnet von Falten und Altersflecken. Diese Hand mit ihren kurzen, stumpfen Fingern, hat sich mir eingebrannt.
Der ganze Film zeichnet sich durch die unglaubliche Souveränität der Schauspieler und Regisseurin aus, den Film nicht in Pathos ersaufen zu lassen, sondern kleine Gesten auch klein zu lassen.
Seit langem keinen derart runden Film mehr gesehen, an dem ich nicht eine einzige Schwachstelle zu benennen wüsste. Regisseurin Sofia Coppola zeigt atemberaubende, unvorstellbare Bilder von Tokyo, die den Begriff „Metropole“ neu definieren. Scarlett Johansson, gerade mit „Ghost World“ und „The man who wasn't there“ auf PREMIERE zu sehen, hat eine Ausstrahlung die mich völlig in den Bann gezogen hat. Ich könnte ihr stundenlang zusehen. Dazu sehr präzise und ausgefeilte, witzige Dialoge.
So rund der Film auch sein mag, wenn Bill Murray mit dem was hier zeigt, nicht den Oscar gewinnt, verstehe ich die Welt nicht mehr. Bill Murray ist einer jener Heroen die einem zeitlebens in diversen Filmen begleiten und die man irgendwie knubbelig findet. Ab und an gelingt ihnen ein Film, der aufhorchen läßt, der erahnen läßt, was in so jemanden schlummert. „Täglich grüßt das Murmeltier“ ist de-facto ein Murray-Vehikel.
Aber nach „Lost in Transition“ wird man Murray nie wieder mit den gleichen Augen sehen. Wie es Ebert
in seiner Kritik geschrieben hat:
In these scenes there are opportunities for Murray to turn up the heat under his comic persona. He doesn't. He always stays in character. He is always Bob Harris, who could be funny, who could be the life of the party, who could do impressions in the karaoke bar and play games with the director of the TV commercial, but doesn't -- because being funny is what he does for a living, and right now he is too tired and sad to do it for free. Except ... a little. That's where you see the fine-tuning of Murray's performance. In a subdued, fond way, he gives us wry faint comic gestures, as if to show what he could do, if he wanted to.
Murray ist mit jeder Faser seines Körpers dieser Bob Harris. Und wo man einst bei „Punch-drunk Love“ das dumpfe Gefühl hatte, das Sandler nur durch einen glücklichen Zufall in den Film reingestolpert ist, wirkt es bei Murray als hätte er das ganze Leben nur auf diesen Moment hingearbeitet.
Ein Maßstab für meine Wertschätzung eines Filmes, ist die Zeit wie lange ich danach noch hibbelig bleibe, der Film mir noch im Kopf rumspuckt. Daran gemessen ist „Lost in Translation“ ein Zehn-Punkte-Film in meinem
Film-Ranking. Endlich mal wieder einer. Dieser Film groß. „
Everyone wants to be found“
Epilog: Die ersten deutschen Filmkritiken im Web (also nicht dem Zeitungsfeuilleton) sind überraschend schlecht und stoßen sich an zwei Punkten. Zum einen der Unwille sich auf einen Film einzulassen, der keine stringente Handlung besitzt, die von A nach B führt, inkl. Spannungsbogen und Auflösung, sondern einfach nur „Leben“ ist.
Immer wieder auch gerne vorgebracht: Coppola würde nur japanische Stereotypen zeigen oder gar rassistisch sein. Der Vorwurf läuft aus zwei Gründen ins Leere. Der Film enthält sich jeder Wertung, so dass der Rassismus-Vorwurf auf die entsprechenden „Gutmenschen“ und ihren eigenen Interpretationen zurückfällt. Die gezeigten „Stereotypen“ sind in Japan Bestandteil des Alltages und werden von den Japanern selber in deren eigene Popkultur verwurstet: Mangas, Spiele, Filme.
Als ich es vor fünf Jahren 3-4 Tage lang mit einer eigens aus Japan angereisten Projekt-Managerin zu tun hatte, habe ich selber öfters gestaunt wie die Japaner ihrem eigenen Klischee entsprechen. Die Geschichte mit der Visitenkarte? Selber erlebt. Das Highlight war am letzten Tag, als sie mit ihrer Übersetzerin in einer Konditorei Kuchen und Törtchen kaufte und jeden von uns bat, sich mit dem Tortentablett von ihr abfotographieren zu lassen.
Das macht sie nicht schlecht. Nur anders.