[21h15] Ich begrüße heute recht herzlich
A.Pahl, von dem ich mal vermute, daß er ab und zu diese Zeilen liest.
Ich war schon überrascht als mir im Büro gesagt wurde, dass am Empfang Besuch für mich wäre. (-??-) Besuch mit russischem Dialekt. (-????-). Pahls mit russischem Dialekt. (-????????-).
Am Empfang waren Frau und Mann, beide Mitte, Ende Dreissig, nach kurzer Vorstellung die mich ahnen liess, auf was es hinauslief, lud ich sie in mein Büro ein (Zimmergenosse Carsten ist im Urlaub).
Es waren Russland-Deutsche, sprich Aussiedler, mit dem Nachnamen Pahl. Sie haben mich aufgesucht, weil sie irgendwie über meine Site gestolpert sind und meinen Nachnamen als Anknüpfungspunkt für ihr Begehr fanden.
Sohn A. hat sein Realschulabschluß absolviert und hängt nun, so die Schilderung, bocklos zuhause ab, ohne Willen irgendwas weiter zu machen. Da sich A. für Computer interessiert ("ist den ganzen Tag nur vor dem Computer") fragten sie mich, ob ich ihn nicht als Azubi oder Praktikant gebrauchen könnte, bzw. ihn weiterhelfen könnte. Sie zeigten mir sein Zeugnis, einige von ihm geschossene und per Grafikprogramm bearbeitete Photos.
Natürlich ist die erste Reaktion "Um Gottes willen, wie schräg ist diese Situation?". Aber unsere Generation kann ja schlecht Flexibilität predigen, um dann in solchen Situation mit den Maßstäben unserer Eltern zu reagieren. Ich muss zugeben, dass ich die Aktion der Eltern (bzw. es war nur die Mutter und ein Freund) recht famos fand.
Ich konnte natürlich nicht helfen, denn als Freiberufler ist Praktikant oder Azubi schlichtweg nicht drin. Ich redete mit den beiden ungefähr 20 Minuten, gab ihnen noch einige Adressen auf den Weg.
Letzte Woche kursierte die Meldung wonach unser aller Wirtschaftsminister Clement die Vollbeschäftigung für 2008 oder so versprochen hätte. Wurde Clement eigentlich schon wg. Scharlatanerie geteert und gefedert? Wie beschissen ist die Wirtschaftslage, wenn jetzt schon Eltern umherziehen müssen ,um an Praktikumsplätze für ihre Kinder ranzukommen? Wie beschissen ist die Lage, wenn das innerhalb eines halben Jahres bereits die zweite Bewerbung ist, die ich als Freiberufler bekomme?
Nun zu dir, A.Pahl.
Wenn du auch nur den Hauch von Chance auf einen Job haben willst, der deinen Interessen gemäß ist, musst du dich selbst aufraffen. Schüchternheit hin, Schüchternheit her. Kein Unternehmen, ich wiederhole, kein Unternehmen wird dich nehmen, solange du dich nicht persönlich vorstellst. Es ist damit nicht gesagt, dass du in deinem Traumjob reinkommst, aber mit "Eltern-vorschicken", oder Sack-kraulen auf dem heimischen Sofa wird es erst recht nix.
Das A und O in dieser Branche (Multimedia, Internet, Computer etc.pp...) sind "Kontakte". Das macht die Sache natürlich schwierig für jemanden der niemanden hat, der ein Bein in der Branche hat. Es sind manchmal nur Zufälle die weiterhelfen, allerdings muss man die Zufälle auch "provozieren".
Nimm mich als Beispiel. Der Anfang meiner Laufbahn war noch nicht einmal so sehr das Grafikstudium, sondern mein Aushilfsjob während des Studiums, als Packer bei einem Kurierdienst. Im Lager lernte ich die Tochter eines Creative-Directors einer Werbeagentur kennen. Und die vermittelte mir später ein Praktikum in jener Agentur. Dort lernte ich weitere Leute kennen, kam so nach meinem Studium in einer Multimedia-Agentur, lernte in der Firma meine spätereren Kollegen, Kunden und Auftraggeber kennen. Kontakte die teilweise nun schon neun Jahre gehalten haben.
Zuhause auf deinem Sofa wird dir sowas nicht passieren. Geh' raus in die Welt, lerne Leute kennen. Such' dir einen Aushilfsjob. Überlege ob du irgendwas studieren willst, oder Kurse an einer Privatschule nehmen willst. Versuche im Internet in einer Community (z.B. 3D-Community) aktiv zu werden. Versuche dort durch Verhalten oder durch das Zeigen von gutem Material einen Status zu erreichen.
Ja, das kostet Mühe, Aufwand, wird auch nicht immer und nicht sofort von Erfolg gekröhnt sein. Scheint mir aber die Mühe wert zu sein, um nicht als Aldi-Regal-Auffüller zu enden.
[20h24] Will Eisner hat drei meiner Comic-All-Time-Favorites gezeichnet, alles Geschichten von "
The Spirit". Eine dieser Geschichte war vielleicht sogar die Vorlage für Spike Lees "
Do the right thing".
Die Geschichte spielt an einem Sommertag der alle Hitzerekorde bricht. Sie wird eingeleitet mit einer quäkenden DJ-Stimme die in der Morningshow von zu erwartenden Temperaturrekorden kündet. Die Stimme schallt durch die Backstein-Mietshäuser einer US-Metropole. Immer wieder bildet das Radio, die Hitze, das Grundthema zu den Detektivtätigkeiten des Spirits.
Die Hitze, es sollen nur 26 Grad in Hamburg gewesen sein, war auch sowas wie das Grundthema für mich heute. Ich schwitzte. Ich war nur am schwitzen. Und bekam am Nachmittag Kopfschmerzen.
Ich hatte heute wieder einen Kundentermin außerhalb von Hamburg. Stand früh auf und ging exakt nach Plan, um kurz vor neun, aus dem Haus. Schon als ich aus dem Haus ging, wusste ich, dass Kundentermin und Hochsommer klamottentechnisch nicht vereinbar sind.
9h14 die U3 an der Hoheluftbrücke, Einzelplatz, Unterlagen zum Kundenmeeting noch einmal durchgelesen, bis Hauptbahnhof durchgefahren. Am Hauptbahnhof in die Regionalbahn umgestiegen und gewartet dass der Zug abfuhr. Danke Bundesbahn. Mein ausgeklügeltes Timing gleich zu Schrott verwandelt. 8 Minuten nach Plan abgefahren, ohne erkennbaren Grund. Ich schwitzte weiter, zog meine schwarze Jacke aus. Das war dann auch der Moment wo mein Vertrauen in Gürtelsclips für immer und ewig erschüttert wurde. Kein Gürtelclip hing mehr an meiner Hose. Folglich hing auch mein Handy nicht mehr dran. Weg.
Der Zug fuhr los, holte später auch nur eine Minute Verspätung auf. Halbe Stunde Fußmarsch hatte ich vom Bahnhof aus vorgesehen, ich lief zügig los, Jacke übern Arm. Längst klebte das Shirt an den Achseln. Immer wieder wischte ich mir mit der Hand über die Wangen, wo der Schweiß runterran.
Der Weg führt vom Bahnhof am Zentrum vorbei, über den Stadtrand hinaus, und wenn es nach Gülle riecht, rechts rein, zum Kunden. Es ist bemerkenswert wie gesichtslos Städte sein können. Ich hatte ein "Déja-Vu", fühlte mich an eine ebenso große Stadt aus dem Bergischen-Land erinnert. Die Kreuzung der beiden zweispurigen Straßen wies pompös den "Stadtring" aus, die Tanke an der Ecke, der kleine Supermarkt, die perfekten, makelosen Fußgängerwege und dieses schier endlose Band der Zweifamilien-Häuser aus den 60ern oder 70ern.
Der Termin lief hervorragend ab. Der Telefongruß von gestern abend "Sei erfolgreich!" hat sich angehört wie ein Lebensmotto vom Schleimbolzen Kai Pflaume. Das Gel tropft von jedem Buchstaben einzelnd herunter. Winnertypen wie aus der "Bizz" oder "Fit for fun". Bah, ich habe mich gestern geschüttelt und mir nach dem Telefonat erstmal die Ohren desinfiziert. Das Meeting war aber trotzdem "erfolgreich".
Ich ging einen anderen Weg zurück, nicht nur weil ich meiner hinterlassenen Schweißspur nicht ein zweites Mal begegnen wollte, sondern auch um etwas anderes von der Stadt zu sehen. Ich blieb am Stadtrand und ging zum etwas weiter entfernten U-Bahnhof. Ich wusste gar nicht wie rum ich die Kappe aufsetzen sollte, nichts half um die Schweißflut zu dämmen. Etwas modänere Gegend. Alles ausschließlich 1-, 2-Familienhäuser, mal mit mehr, mal mit weniger Garten, mal mit hohen Hecken, mal mit weniger hohen. Merkwürdig steril. An der U-Bahn hieß es erstmal warten. Auf der eingleisigen Strecke fährt nur alle 20 Minuten die U-Bahn stadteinwärts. Aber ich kann mich zumindest auf einer Bank hinsetzen und vor mich hindünsten. 17 Minuten bis zur nächsten Bahn, und ich bin weit und breit der einzige auf dem Bahnsteig.
In der U-Bahn penne ich ein. Ich steige später aus, vor dem Einstieg in die S-Bahn mache ich aber halt bei meinem zweitliebsten Chinesen und gönne mir angesichts des Quasi-Vertragsabschluß Reis mit Krabben. Zwar tropft mir im sehr heißen Laden der Schweiß ungehemmt auf die ausliegende Lesezirkel-SportBild, aber der Imbiß ist erfreulich leer.
Ab in die S-Bahn, wo ich mein Nickerchen fortsetze, nur mäßig gestört vom hyperaktiven 4jährigen ("Mariano, setz dich sofort hin, sonst gibt es einen Klaps auf den Po"). Als ich Bahrenfeld aussteige bin ich hundemüde. Ich torkle in die Agentur, mache Fenster auf, PowerBook an, Stream an, und fange an, unter Kopfschmerzen, vor mich hin zu werkeln.