dogfood März 2004 [1]

Samstag, 06. März 2004

[09h49] WebDev -- Endlich mal wieder eine gute juristische Nachricht von der Webentwickler-Front: in den USA hat das US-Patentamt das berüchtigte „Plug-In“-Patent von Eolas gekippt und damit die Einstweilige Verfügung zum Einbau eines Anti-PlugIn-Mechanismus. Siehe Berichterstattung bei cNet und TheRegister.
Über die Gründe ist noch nichts bekannt, aber es war bekannt das Versuche unternommen wurden, dem Patentamt „Prior Art“ zu beweisen, also das Vorhandensein von Plug-Ins vor dem Eolas-Patent.
Damit ist aber noch nicht das Ende des Verfahrens erreicht. Vielmehr hat Eolas nun 60 Tage Zeit dagegen Einspruch zu erheben. Aber immerhin ist nun die Waage etwas zu Gunsten Microsofts und der Web-Gemeinde gekippt.
Eolas betont zwar, dass dieser Vorgang normal sei, vergißt aber zu erwähnen, dass die Eile die das Patentamt an den Tag gelegt hat, etwas noch nie Dagewesenes ist.

Freitag, 05. März 2004

[09h35] Eins -- Endlich. Gestern, als ich eine Rechnung zum Briefkasten trug. Aus der Garageneinfahrt klang schon dieses höllische, blecherne Rollen. Ein Vierzigjähriger mit grauer Mähne kam, mit gewisser debiler Freude und weiten Schwüngen. Rechts von mir, neben dem Bürgersteig, eine 7cm tiefergelegte Asphaltfläche, auf meiner Höhe noch mit einer Asphaltrampe zum runterrollen versehen.
Freudig schepperte er weiter in großen Bögen und rollte vor mir die Rampe runter, um die große Freifläche Asphalt auszunutzen und sich richtig in die Kurven zu legen, während das Kratzen der kleinen Rollen sich überall in der Lippmannstraße zu reflektieren schienen. Ein weiter Bogen nach links, sozusagen vor mir wegfahren, vom Asphalt wieder auf den Bürgersteig wollend.
Nur dass dort keine Rampe mehr war. Sondern ein 7cm hohe Kante.
Es war nicht so sehr der Aufprall der laut war, sondern die plötzliche Abwesenheit des Schepperns und Knirschen, die Stille, während drei Meter vor mir, lautlos, ein Vierzigjähriger mit grauer Miene und debilem Ausdruck versuchte seinen Sturz aufzufangen.
Das elende Kickboard lag drei Meter hinter ihm, an der Kante hängen geblieben.
Ich ging an ihm vorbei, als er versuchte sich und das Kickboard wieder in Gang zu setzen. Ich hörte aber kein Scheppern, kein Kratzen und kein Knirschen. Ein Kickboard weniger auf der Welt.
Zwei -- Das Büro im obersten Stockwerk geht mit seiner Fensterseite zum Hinterhof hinaus. Die gegenüberliegende Wand ist eine Milchglaswand zum Flur hin. Dort laufen mitunter Gestalten von und zu Yoga-Kursen. meistens weiblich, meistens mit irgendeiner zusammengerollter Matte unterm Arm geklemmt. Meistens jung. Milchglas lässt einigen Spielraum zu um in eine verhuschten Gestalt etwas hinein zu interpretieren.
Spätestens wenn man aber an einem kalten März-Abend im Treppenhaus den komplett in Thermojacken Zugeschnürten entgegenkommt, deren Gesichter und Nasen mit vor Kälte aufgeplatzten Äderchen überzogen sind, wie weiland eine Strassenkarte von Sibirien, ist der verbliebene Interpretationsspielraum auf Null reduziert.
Drei -- Auch eine Sache des Interpretationspielraumes. Im Eckhaus daneben, ist eine Model-Agentur („Kader-Schmiede“ Harharhar, Big Brother-Wortspiel). Schickes Interieur, mit iMacs, neonfarb-transluzenten Klembrettern, designten Weibsvolk auf der einen Seite des Tisches, gegelte Jungherren auf der anderen Seite des Tisches. Nicht plump, nicht aufdringlich, nicht aggressiv.
Doch all das Schick-Sein bringt nix, wenn um zwanzig nach sieben, nach Feierabend, noch im Büro gesessen wird, das schwarze Hemd aus der Hose gesteckt wird und vermutlich vom letzten Klogang noch so ungeschickt verdreht ist, dass man zuerst glaubt, dieser Jungherr würde bauchfrei tragen. Der Schock kommt beim zweiten Blick. Es ist nicht nur unfreiwillig bauchfrei. Es sind auch die Würste und Wülste die über dem Hosenbund hängen und der Model-Agentur den letzten Hauch von Unnahbarkeit genommen haben.
Vier -- Die Sonne geht derzeit gegen halb sieben unter und bei dem derzeit klaren Hamburger Winterhimmel ist es ein leises Farbspektakel von Gelb über Orange über Grün, Blau und Dunkelblau hin.
Ich war gestern gegen Halb sieben zu Fuß unterwegs. Zufällig im Zickzack gen Westen, immerwieder dem Sonnenuntergang entgegen. Ich ging den Paulsen Platz entlang. Ein 50x50m großer Platz mit Park und Spielplatz, inmitten einer Wohngegend, ohne Verkehr.
Ich ging auf der Westseite des Platzes, rechts von mir Altbaufassade. Ich blickte zur anderen Seite des Platzes, zu den Häusern auf der östlichen Seite. An der Ecke statt ein relative junges Haus, mit glatter, heller Fassade in Weiß oder Hellgrau gestrichen. Es war dem Schein des Sonnenunterganges ausgesetzt und bekam einen hellblauen, illuminierten Schein. Es schien zu strahlen. Die Wirkung war umso stärker, weil es vor dem bereits dunklen Nachthimmel stand und über ihm der recht volle Mond aufgegangen war.
Ich muss in solchen Momenten immer an die Sterbeszene von Roy, dem Androiden (Rutger Hauer) aus Bladerunner denken. Es müssen eben nicht nur die Sternenneben des Orions sein.
Roy: I've seen things you people wouldn't believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser gate. All those moments will be lost in time, like tears in rain. Time to die.

Mittwoch, 03. März 2004

[10h39] WebDev -- Ein Nebenkriegsschauplatz für Webdesigner sind immer wieder die Urteile deutscher Gerichte, wen diese das Internet betreffen. Da wird mal so, mal so entschieden, ganz nach Lust und Laune der Richter. Von stringenter Rechtsauslegung nichts zu spüren, immer wieder Türen auflassend für Abmahnabkassierer.
Elfe berichtet von einem neuen Fall in Sachen „Webimpressum“.
[10h06] Alle Jahre wieder. Alle Jahre wieder, versucht die „Süddeutsche Zeitung“ einen Relaunch ihrer Website. Immer nach dem gleichen Muster. Neues Layout, neue Struktur, ohne Vorwarnung, alte Links landen ins Leere und Standardfunktionen wie das Inhaltsverzeichnis der SZ vom Tage werden erst mal vergessen.
Seit zwei Tagen schaue ich Abend für Abend und Morgen für Morgen nach, ohne dass sich das Inhaltsverzeichnis verändert hat. Kein Wunder. Denn die SZ publiziert nun ihre Zeitungsinhalte anders.
Ich bitte um Hymne, gefolgt von einem Tusch und einem donnernden schlagwort-resistenten Applaus für:
E-Paper
Hier geht es lang. Das System scheint mir noch nicht ausgereift zu sein. Selbst wenn man einen SZ-genehmen Browser benützt (z.B. Safari und Mozilla 1.3+, Opera 7.1+, MSIE 5+), scheint das System doch starken emotionalen Schwankungen zu unterliegen. Mal wird Firefox erkannt, mal fliegt es als nicht erkannter Browser raus. Mal wird auf Safari nix angezeigt, mal wird was angezeigt, mal erlebt man einen „Reload of death“ der permanent zwischen Startseite und Browsererkennung pendelt.
„E-Paper“ -- bitte raunen Sie jetzt -- ist ein Java-Applet, dass die Zeitung „as is“ darstellt, also eine verkleinerte Ansicht des originalen Zeitungsformats. Per Rollover kann man sich die Schlagzeilen und 1-2 einführende Zeilen durchlesen, per Klick poppt ein HTML-Fenster auf, mit dem jeweiligen Artikel in „plain“ HTML. Alternativ lässt sich auch eine eingescannte Grafik betrachten.
Noch ist es kostenlos, ab Juni gilt es 20,- EUR zu zahlen, bzw. 5,- EUR für Abonnenten.
Es gibt in der Branche ganz unterschiedliche Bezahlmodelle. Der Trend der vergangenen Monate gehe dahin, für reine E-Paper-Abonnements Preise zu verlangen, die nahe an denen der gedruckten Zeitung lägen, erläutert der BDZV. Einig sind sich die Verlage, dass die von der Redaktion mit viel Aufwand recherchierten Artikel nicht mehr länger gratis ins Netz gestellt werden sollten.
Zwar gesteht die SZ einige technische Schwierigkeiten ein, aber mir erschliesst sich nicht, dass denen das Hauptproblem mit E-Paper nicht auffällt: das Inhaltsverzeichnis hat nur noch Schrottwert, da man allen Ernstes alle Seiten auf einen Schlag als Thumbnails angeboten bekommt.
Hatte ich bislang mir binnen 30-60 Sekunden einen Überblick über alle angebotenen Artikel verschafft, dürfte dass bei dem neuen System in den zweistelligen Minutenbereich gehen.
Unterm Strich ist das neue E-Paper-System der SZ Sinnbild für all das, was die „Großindustrie“ in Sachen Technik nicht versteht oder in ihrem Größenwahn nicht sieht, Stichwort „Toll-Collect“ oder „Arbeitsagentur.de“. Es wird ein aufwändiger technischer Popanz aufgebaut, der dem User nur weniger Komfort bietet und dem Unternehmen ein Schweinegeld für die Implementation kostet.