dogfood April 2004 [3]

Dienstag, 20. April 2004


Die Passion Chitin
[19h58] Der Beweis: er ist nach drei Tagen dem Leichentuch entfleucht. 1971 Jahre später beschloß er, aus mir nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, mein Bürofenster anzuhimmeln.
Gut, er ist nur noch vier Zentimeter groß, aber wir alle wissen, dass es nicht auf die Größe ankommt.
Sämtliche Gaben hat er allerdings verschmäht. Aus dem Wasser hat er keine Cola gemacht, aus dem Toastbrot keine duften Gummibären gezaubert.
Ich hoffe dass er ein gutes Omen für morgen ist, auf das ich durch all die Zweifel meiner Kunden marschieren kann, wie weiland Moses durchs Meer.
Wenn ich allerdings bemerke, das er auf der Fensterscheibe irgendeiner Konkurrenz des webproduzierenden Gewerbes klebt, werde ich weibisch aufschreien „Oh, ein häßliches Insekt, ein häßliches Insekt“ und es wegmachen lassen. So is' die Wirtschaft derzeit. Nix Schröder'schen Aufschwung.
[15h35] WebDev -- Morgen nachmittag gibt es wieder eine halbe Weltreise zum Kunden vor den Toren Hamburgs. Immer soll das Wetter morgen halten, inkl. 17 Grad. Da bekommt der Bursche wieder ein Stückchen Natur mit.
Morgen wird eine Art Beta-Version der Website gezeigt. Nach Wochen Pause habe ich Layout und Struktur der Website überarbeitet und die letzten Tage u.a. auch damit verbacht, den Code schlanker zu machen.
Wenn ich mir die Site so mit der „Web Developer“-Toolbar ansehe, überkommt mich ein Hauch von Freude nicht mehr als drei Block-Level-Elements ineinander verschachtelt zu haben.
Jetzt steht u.a. Fleißarbeit an. Auf der Suche nach ALTs, TITLEs, toten Links etc...
Und wenn denn der Kunde in 24h auch zufrieden ist und das Problem mit dem unwilligen Web-Provider beseitigt ist, dann fällt mir eine Geröllhalde vom Herz.
[08h37] Es kam unerwartet in dem Einerlei aus Börsen-News, Vermischtes und Sportmeldungen: ein Bericht der BBC über AIDS in China. Nicht irgendein Bericht der Statistiken zitiert.
BBC-Korrespondent Rupert Wingfield-Hayes berichtete im letzten Herbst von einer AIDS-Katastrophe im Tiefland Chinas, in der Provinz Henan. In dem Dorf Shuang Miao sind 20% der 3000 Dorfbewohner HIV-positiv, 150 waren im letzten Herbst bereits gestorben.
Die AIDS-Epidemie ist Konsequenz aus einer Kampagne des chinesischen Staates Mitte der 90er Jahre, die zum Blutspenden aufrief. Mit mobilen Krankenstationen wurden Millionen von Chinesen das Blut abgenommen, dabei aber sämtliche Grundregeln der Hygiene und der Medizin mißachtet. Spenderblut wurde zusammengemischt und teilweise, nachdem, das Blutplasma entfernt wurde, wieder zurück in die Spender gepumpt.
Man spricht von mehr als einer halben Million derartig Infizierter. Und Shuang Miao ist nur ein Beispiel.
Wingfield-Hayes besuchte das Dorf, machte Interviews, wurde aber sehr bald von Offiziellen des Dorfes verwiesen. Verantwortliche chineische Stellen versprachen dem Dorf medizinische Hilfe zukommen zu lassen.
Wingfield-Hayes ist nun wieder nach Shuang Miao zurückgekehrt. Inoffiziell und im Schutze der Dunkelheit. Hilfe ist nie eingetroffen. Der Mann den er im Herbst noch interviewte, ist inzwischen verstorben. Seine Frau, zwischen Dreißig und Vierzig Jahre alt, ist ebenfalls bereits an AIDS erkrankt und geschwächt. Sie weiß das sie sterben muss und heulend erzählt sie dem BBC-Mann, dass sie nicht weiß was aus den Kindern wird, wenn nun auch sie sterben wird.
Die Frau führt den Reporter auf ein weites grünes Feld mit kniehohen Gräsern. Auf dem Feld sind Dutzende von Erdhaufen, Ameisenhügel gleich, zu sehen. Es sind die Gräber der an AIDS verstorbenen Dorfbewohner.
Die Frau führt den Reporter dann zu einem Onkel der im Endstadium liegt, Unterschenkel allenfalls nur noch so dick wie zwei Daumen.
Ein Faustschlag am Morgen. Man möchte Kotzen.
Vielleicht bringt die BBC-News-Website noch einen Bericht: BBC News Suche „Henan Aids“
Nachtrag -- Mehr Infos zum Thema: BBC Four berichtete über einen Dokumentarfilm und gibt weiterführende Links. Der Film „To live is better“ der wohl weltweit am 1ten Dezember 2003 gezeigt wurde, hat ebenfalls eine eigene Website.

Montag, 19. April 2004

[22h36] WebDev -- Mit Verlaub, was mir dieser Tage richtig auf die Nüsse geht, ist die Marotte von MovableType ab und an beim (lokalen) Generieren von Seiten die Templates im Charcode zu verändern, mit der Folge das alle Umaute zerschossen sind. Wohlgemerkt: im Template!
Ich bin mir nicht sicher, möglicherweise passiert es nur bei Templates die gerade im Texteditor offen sind. Sheeesh... Erstmal über die derart kaputten Templates stolpern, dann per Hand ausbessern (läßt sich nicht per RegEx „reparieren“!) und schließlich in MT nochmal die Seiten generieren.
[14h44] Es ist grau, es ist trist und zu allem Überfluss hat es angefangen zu nieseln. Weil aber die Vögel in den Bäumen vor LIDL trotzdem weiter ausharren und singen, fühlt es sich eher wie ein lauer Sommerregen an.
[09h51] Readers Digest:
Vergangenen Samstag vor 50 Jahren - also exakt am 17. April 1954 - erfanden Knut Kiesewetter und Bodo Eichhorn in Büsum den Rock. Es war eine eher zufällige Erfindung: Eigentlich wollten die beiden Marzipan herstellen, um damit die gegen die Stadtmauern stürmenden Dänen abzuwehren. Marzipan kennt heute kein Mensch mehr, Rock ist in aller Munde. Seinen Erfindern erging es schlecht: Kiesewetter starb 1974 verarmt und in geistiger Umnachtung; Eichhorn wählte 1992 den Freitod, weil er sich zeitlebens eine Mitschuld an den Scorpions gab.
Das mag ziemlich irre klingen. Ist es wohl auch. In einer Welt aber, in der der Multifunktions-Moderator Thomas Gottschalk (Wetten dass...?, Gottschalk America, Haribo) eine ganze Kunstgattung zur wöchenendlichen Prime-Time ungestraft in den Kot ziehen darf, hat der Irrsinn ja offenkundig Konjunktur. [...]
aus der Montagsausgabe der „Frankfurter Rundschau“, „Das Grauen -- „50 Jahre Rock“, vom Samstag, ZDF, 20.15 Uhr.“ von Stefan Behr
Sie sind nicht sicher, woran man Formatradio erkennt? Sobald Ihre Ohren anfangen zu kotzen, hören Sie Formatradio.[...]
Ich höre Sie schon rufen: „Gemach, Gevatter! Man kann ja auch umschalten!“ Auf was denn, bitteschön? Die Lust mancher öffentlich-rechtlicher Sender, das private Formatradio auf der Fäkalspur zu überholen, hat etliche langjährige Gebührenzahler zur Verzweiflung getrieben. Wenn Sie beispielsweise die gesamte WDR-Fußball-Berichterstattung, seriös und durchaus nicht ohne Humor, hören, ist das trotz Joe-Cocker- und Britney-Spears-Sperrfeuer in der Halbzeitpause ein Genuss, der Spaß bringen kann. Verlassen Sie aber das Sendegebiet und überschreiten Sie die Demarkationslinie zum NDR, bricht ein Inferno geballten Formatradio-Flachsinns über Sie herein. Man gibt dort die „NDR 2 Bundesligashow“, anscheinend ein Radioprogramm für Vorschulkinder mit leichtem Fußballinteresse. Jede Tonmeldung wird endlos mit Trailern und Jingles angekündigt, bis man endlich erfährt, wer für wen getroffen hat. Und wenn der Moderator mal gerade nicht die Lust am Fußball tötet, kommt das akustische Ebola-Virus in Form eines regelmäßig wiederholten Jingles: „NDR 2 - und das Leben beginnt“.
Ist dies die lang gefürchtete Neudefinition einfacher Wörter? Steht „Leben“ jetzt für Folter per Äther? Lebt man etwa nur, wenn man mit der Non-Stop-Berieselung durch die Produkte des englischsprachigen Pop/Rock-Stalinismus einverstanden ist? Heißt Lebensfreude, dass man Trauer zu tragen hat, wenn man das Privileg genießt, auf Formatradiosender verzichten zu können? Wenn dem so ist, grüße ich Sie aus dem Reich der Zombies, denn in meinem persönlichen Katalog der Dinge, ohne die ich bestens auskomme, steht das Stichwort „Formatradio“ ganz oben.
Es grüßte Götz Alsmann auszugsweise aus der Samstags-Ausgabe des Tagesspiegels und in voller Länge in der neuen „Pardon

Freitag, 16. April 2004

[19h06] Im Laufe der letzten Tage habe ich Philip K. Dicks „Minority Report gelesen und kann nun den Vergleich mit dem Spielberg-Film ziehen.
Es ist eine typische SF-Kurzgeschichte, die alle um eine Pointe herumgestrickt sind und entsprechend eindimensional sind. Dicks Romane sind um Längen besser.
Der Film hat nicht mehr viel mit der Kurzgeschichte gemein. In der Kurzgeschichte entzündet sich ein Konflikt zwischen putschenden Veteranen-Soldaten und der Polizeibehörde. Mittendrin Anderton, der Polizeichef, dem durch die PreCog-Mutanten vorhergesagt wird, er würde den Veteranen-General Kaplan umbringen.
Die Pointe an der Kurzgeschichte sind die PreCog-Mutanten. Anders als gedacht, geschehen ihre Voraussagen nicht gleichzeitig, sondern repräsentieren die Zukunft von unterschiedlichen zeitlichen Ausgangspunkten aus. Daher kommen die Mutanten zu unterschiedlichen Schlüssen. Mutant 1 sieht Anderton morden. Mutant 2 sieht Anderton in Reaktion auf den Bericht von Mutant 1 sich des Mordkomplottes entsagen, Mutant 3 sieht dass die durch Mutant 2 heraufbeschworene Situation zur einer Eskalation führt, die letztendlich Anderton dann wieder doch dazu bringt, den Veteranenchef zu töten.
So hatte jeder Mutant zwar „irgendwie“ Recht, aber aus unterschiedlichen Gründen.
Der Film hätte nun die Kurzgeschichte von Dick „entkernen“ können und eine Geschichte rund um das Paradoxon aufbauen können, dass sich Zukunft nicht voraussagen läßt, weil die Voraussage bereits zu einer Veränderung der Zukunft führt. Nebenbei auch fragen können, ob es moralisch ist, Menschen zu verhaften, bevor sie eine Tat begangen haben.
Aber nein, Spielberg hat alles auf die persönliche Ebene reduziert. Eine Geschichte um einer der Mutanten gebastelt und ein schwülstiges Familiendrama rund um Anderton gebaut.
Die Dick'sche Kurzgeschichte ist nicht herausragend, enthielt aber eine Steilvorlage für einen guten Film. Spielberg ist ins Abseits getappt.

Website Blue Pier, formerly known as Divine Deutschland, MarchFirst, CKS, Prisma etcpp..
[18h21] NewEconomy-Geschwalle Galore:
Blue Pier versteht sich als führender Internet Dienstleister auf dem europäischen Markt, der bisher getrennt betriebene Online Aktivitäten in Unternehmen zusammenfasst [...] hinsichtlich des effizienten Einsatzes von Internet Technologien.
Diesen Prozess nennen wir Digital Alignment.
Für unsere Kunden schaffen wir effiziente und individuelle Kommunikations- und IT-Lösungen, beispielsweise in der Unternehmenskommunikation und bei der digitalen Globalisierung.
[...]Die Schwächen der historisch gewachsenen Systeme zeigen sich mittlerweile deutlich: Sowohl die Aktualisierung wie auch der Betrieb und die Wartung der unterschiedlichen Länderwebsites oder von Websites einzelner Konzerngesellschaften sind kostenintensiv und unübersichtlich.[...]
[...] unser kommunikatives und technisches Know-how [...] tiefes praxisgetriebenen Verständnis [...] effiziente Projekte unter technologischen- und Markengesichtspunkten [...] fundiertes technisches Know-how [...] integrierte Herangehensweise [...] ständige Weiterbildung unserer Mitarbeiter [...] höchste Standards an Professionalität und technischer Kompetenz [...] fundierten fachlichen und strategischen Qualifikationen
Das alles zu finden auf der Website von Divine, bzw. Blue Pier http://www.divine.de, deren Unternemensseite wahrscheinlich noch kein lebender Mensch in Gänze gelesen hat. Wie weit mag es wohl um das „Know-How“, das „tiefe praxisgetriebene Verständnis“ des „führenden europäischen Internet Dienstleisters“ bestellt sein?
Test: http://divine.de
Ooops.
Ja, inne Fresse-kriegen ist immer fies und ungerecht.
[17h31] Man möge mir eine kurze Unterbrechung meines Phlegma-Tages verzeihen:
ARGHHH! Bonk! Bonk! Bonk! Es gibt Dienstleister... u-n-g-l-a-u-b-l-i-c-h...
[17h08] Heute mache ich einen auf Phlegmatiker.