[11h34] Aus der Abteilung „
Einträge, die wir schon seit Tagen schreiben wollten“ — Am vorletzten Samstag ist mir aufgefallen, wie wenig ich „raus“ komme. „
Raus“ wie in „
raus aus Hamburg“. Meine natürliche Auslaufzone ist identisch mit den Grenzen des Hamburger Verkehrsverbundes. Und in diesem Sommer habe ich Buch-, EM- und Olympia-bedingt diese Grenzen weniger ausgelotet als im Vorsommer. Meine geliebte Strecke Wohltorf — Reinbek bin ich dieses Jahr nur einmal abgegangen.
Nachdem die Freundin also diesen Sommer an den Wochenenden eher darben musste, war es nur fair das ich einen Bundesliga-Spieltag springen liess, damit sie mich zu ihren Freunden fährt. Okay, es war immerhin ein Bundesliga-Spieltag, also von daher nicht wirklich fair, aber gut...
Und so ging es dann am Samstag, kurz nach Beginn der ersten Halbzeit auf der A7 runter gen niedersächsische Kapitale. Und das war auch ungewohnt. Ich saß in einem Auto und war auf der Autobahn. Ich weiß gar nicht mehr, wann es das letzte Mal war. Die einzigen „Fernstrecken“ im Auto fahre ich, wenn mein Onkel mich von Paris zu meinen Großeltern, 110km fährt. Und das meistens auf einer „Route National“, Stadtautobahn nicht mitgezählt, die französischen 130kmh zählen eh nicht.
Das Wetter wurde hinter den Elbbrücken immer schlechter. Im Radio berichtete der Reporter aus Wolfsburg von Sturzbächen die niedergehen würden, während sich Schalke ein Ei nach dem anderen einfing (damals noch unter Heynckes, ja sooo lange ist das her!). Der Schauer verwandelte sich in konstanten Regen und mit Betreten Niedersachsens dann endgültig in einen Wolkenbruch. Einige Autofahrer blieben unter Brücken auf der Standspur mit Warnblinkanlage stehen, auf dem Asphalt blieb das Wasser 2-5mm hoch liegen, vor meinem geistigen Augen liefen diverse Aquaplanning-Dreher aus der Formel-1 ab, die Freundin nahm Rücksicht auf meine Hände die sich längst in die Beifahrertür gekrallt hatten und meine weißen Lippen und bremste auf Tempo 60 ab. Sichtweite, und das ohne vorausspritzende LKW-Gischt, knappe 50m.
Ich war angespannt, aber meine weit aufgerissenen Augen hatten nicht wirklich mit Panik zu tun. Dass macht der Pahl immer so, wenn er im „recording mode“ ist und versucht alles an Sinneseindrücken zu erhaschen.
Als sich dann das Wetter nach 20-30Minuten normalisierte, wurde die Fahrt langweiliger, bei der Freundin sank die
Toleranzsschwelle für
Fußball-lastige Radiosender (wiewohl ich NDR2 und den Uwe-Bahn-Spacke nur ungern in einem Zusammenhang mit Fußball, geschweige denn „Fußball-lastig“ erwähne). Beim Durchzappen fand sich auf Höhe Walsrode plötzlich „
Bremen Vier“ ein, einen Sender den ich einst, Ende der Achtziger so abgöttisch liebte wie jetzt
FM4, bevor der Sender in diversen Reformen in seine Einzelteile zerlegt wurde. Nicht das erste Mal dass ich diesen Monat an Bremen Vier denken musste. Bin just vor 1-2 Wochen darüber gestolpert, dass der Mitbegründer, langjährige Programmchef (und Zerleger) und als „
Dr. Nox“ bekannte DJ, Wolfgang Hagen, besser:
Dr. phil habil Wolfgang Hagen, inzwischen Hauptabteilungsleiter beim
DeutschlandRadio Kultur, formerly known as
DeutschlandRadio Berlin, ist.
Und mit einem Mal fuhren wir von der Autobahn ab, in die Wedemark rein Die Sonne schien und irgendwie war alles grün. Der Sinneseindruck der sich bei mir auch zehn Tage später wieder einstellt: mit dem Auto permanent unter Bäumen fahren, ein helles grünes Blätterdach, das nur ab und zu Sonnenblitzer durchlässt. Kleine Dörfer mit alten Häusern und Zweifamilien-Häusern aus den Siebziger, Achtziger und Neunziger.
Ich fühlte mich binnen Sekunden plötzlich in „Neues aus Uhlenbusch“ reinversetzt, in eine Welt, die ich überhaupt nicht kannte. Ein norddeutsches Dorf. Bis dato kannte ich nur eine hessische Kleinstadt und französische Dörfer.
Wieder war ich völlig abwesend, „recording mode on“.
Und mit einem Mal stand ich vor der Tür der Eltern meiner Freundin und mich traf die Erkenntnis wie ein Schlag, dass ich gerade das erste Mal vor der Tür der Eltern meiner Freundin war, gleich die Tür aufgehen würde und ich dann auch das erste Mal vor den Eltern meiner Freundin sein würde, ohne Tür. Damned.
Händedruck, Wohnzimmer, Setzen. Ein typisches Eltern-Wohnzimmer, immer die latente Scheu vor Helligkeit und Sonne, stattdessen alles erdig-dunkel. Typische Eltern-Möbel. Als Gast versinkt man knietief in die kaum benützten Gäste-Sessel. Zum Glück wurde ich von jeder weiterer Kommunikation erstmal verschont, ich schwankte noch zwischen Lampenfieber, „recording mode“ und Kampf mit dem Sesselkissen.
Da gab es den üblichen Eltern-Smalltalk, die Interesse an den Tätigkeiten des Kindes zeigten, ohne wirklich diese Tätigkeiten zu verstehen, ein Phänomen was ich aufgrund der muttersprachlichen Schwierigkeiten bei meiner Mutter in noch schärfere Form gekannt habe.
Da gab es für mich das Faszinosum des „Dorf-Small-Talks“. Für den Großstädter ist es interessant zu sehen, wieviel Eigeninitiative im Dorf noch vorhanden ist. Da wartet man nicht bis das Bezirksamt mal beschließt, das Schlagloch vor der Tür zuzuschütten, sondern spricht mit dem Müller und dem Meier und der Müller bringt ein bißchen Schotter vorbei und der Meier sagt „Jo“ und gut is.
Als dann das Stichwort „Garten“ fiel, spürte ich, dass meine Zeit gekommen war, richtete mich auf und gab Laut. Nicht von ungefähr. Seit dem Palmengedöns bei mir zuhause, hat mein Interesse für Grünzeug zugenommen. Zudem haben meine französische Großeltern selber einst einen riesigen Obst- und Gemüsegarten besessen.
Ich wurde in aller gebotenen Ausführlichkeit durch den Garten geführt, bewunderte die riesigen Trauben-Ranken und den dreikammerigen Kompostenhaufen. Abschließen wurde ich in die Vorratskammer geführt, staubte diverse Marmeladen ab und mir wurde der Werder-Meisterschaftssekt 03/04 gezeigt, der selbst hier nicht über das Prädikat „Gesöff“ hinauskommt und weit hinter dem dorfeigenen edlen Tropfen bleiben soll.
Ich kann mir nicht helfen, es hatte etwas wohliges, in sich ruhendes, wie ich es von Besuchen bei meinen Großeltern kenne, fernab von Internetanschluß, Kabel und ähnliches.
Knapp anderthalb Stunden später fuhren wir wieder los, gen Hannover um bei Freunden zu abend zu essen. Mehr darüber, hey, ich muss ja schließlich auch wieder arbeiten, dann in einem anderen Eintrag.