Ich habe an diesem Wochenende wieder recht viel Sport im Fernsehen „geguckt“ – eine Umschreibung dafür, dass der Fernseher lief und ich mich immer wieder mal für zehn Minuten hinsetzte, ehe ich dann wieder in den Garten ging oder im Haus aufräumte oder mich um die Aufzuchtschalen kümmerte oder Abwasch machte oder ein Nachmittagsschläfchen.
Mir ist mit Wucht klar geworden, wie … entweder wenig Lust ich auf die mediale Aufbereitung habe … oder sich diese mediale Aufbereitung in den inzwischen viereinhalb Jahren seit Ende von allesaussersport verändert hat.
Als MagentaSport-Abonnent konnte ich am Samstag von SKY die zweistündigen Vorberichte zum letzten Bundesliga-Spieltag sehen – zum ersten Mal seit was-weiß-ich-wievielen Jahren. Mich hat diese Ansammlung an hohlem Geschwätz fassungslos gemacht. Alles wird auf eine emotionalen Ebene geschoben, als wäre man auf dem Esoterik-Weltkongress gelandet. Da muss die Einstellung stimmen. Der Wille muss vorhanden sein. Die Bereitschaft wäre auf jeden Fall schon da. Am Ende wird zählen: wer will es mehr. Blablabla. Zwei Stunden lang. Selbst die Trainer haben sich mit ihren Soundbites dem offensichtlich gefügt.
So eine Scheiße erzählen sogar die von SKY bezahlten Fachleute Matthäus und Meijer. Auf 20 Sekunden herunter gebrochene Phrasen, die weniger Analysen sind, sondern mehr der Aufladung des Produktes dienen (joa, wer will, kann da auch parallelen zum aktuellen politischen Diskurs erkennen).
Es wird dann hinterfotzig, wenn das Sujet zu nahe ist.
Im Interview mit dem Moderator Hellmann rammt Lothar Matthäus den Bayern-Trainer verbal in den Boden: Tuchel würde mit seiner Außendarstellung und Personalrochaden für Verunsicherung sorgen. Kein Spieler würde seine Rolle mehr kennen. Matthäus positioniert sich in seiner Rolle als vermeintlicher Mann der klaren Worte.
Fünf Minuten später steht Tuchel zwischen Hellmann und Matthäus. Vom, inzwischen um zehn Zentimeter geschrumpften, Matthäus kommt nur noch die pauschal gehaltene Phrase der Verunsicherung der Mannschaft. Die von ihm direkt gezogene Verknüpfung mit Thomas Tuchel unterschlägt er nun lieber. Es ist ein Sebastian Hellmann, der, diplomatisch verpackt, die von Matthäus formulierten Vorwürfe Tuchel als Frage übergibt.
In Sachen Abberufung von Kahn & Salihamidzic scheint seit Freitag halb München informiert gewesen zu sein. Auf Sky war davon kein Wort zu hören, obwohl selbst Moderator Leopold später zugab, davon gehört zu haben. Stattdessen am Nachmittag via Twitter allgemeine Empörung wer das ausgerechnet während des laufenden Spiels durchgestochen hat – statt der Empörung wie die halbe Branche einen dreiviertel Tag lang die Klappe hält. Warum eigentlich?
Der Samstag machte deutlich: Nähe erzeugt Abhängigkeit.
Am frühen Abend folgte das Endspiel in der URC, der irisch-schottischen-walisischen-italienischen-südafrikanischen Rugby-Liga. Das Team mit der besseren Bilanz, die Stormers aus Kapstadt, durfte das Finale bei sich austragen und Broadcaster war folgerichtig das südafrikanische SuperSport.
Südafrikanische Rugby-Kommentatoren betreiben wenig Analyse und sind sehr euphoriegetrieben. Jedes Ereignis auf dem Feld wird sofort zum einmaligen und sensationellen Ding hoch gehoben. Alles ist gut. Alles ist positiv. Und alles ist permanent auf Anschlag.
Ich kann das nicht mehr. Eine derartige „Buschmannisierung“ (alternativ: „Stachisierung“) lässt keinen Platz mehr für Nuancen und Details. Es ist wie der Lautstärkeknopf auf Anschlag: brutal übersteuert, alles wird zu einem Brei und damit nicht mehr schön.
Am Abend und am Sonntag schaute ich auch in die Viertel- und Halbfinals der Lacrosse-Collegemeisterschaften in den USA rein. Broadcaster ist ESPN. Übertragungen von ESPN sind auf eine anderen Art schwer zu ertragen: alles und jedes wird in irgendeine Storyline reingepresst.
Ein Teil dieser Storylines liegt schon vorbereitet auf der Festplatte (tragische Verletzung eines Schlüsselspielers… yaddayadda) und wird immer wieder bemüht, wenn irgendwas passiert, was sich irgendwie in der Nähe des Plots ereignet.
Weil die USA kein Sportevent unterhalb von drei Stunden können, müssen die Zuschauer immer wieder abgeholt werden, weil sie ja zwischendurch weg gezappt haben könnten. Und so bekommt man die Storylines auch gerne mehrfach serviert.
Die Kommentierung versteht sich mehr als Moderation zwischen den einzelnen Plot-Devices als wirklich beim Spiel zu bleiben und das Spiel auf sich wirken zu lassen.
Eigentlich sollte das Spiel die Geschichten schreiben. Vorberichte und Kommentierung sollten nur eine Einleitung geben, die dir als Zuschauer ein Setup zur Unterstützung geben: wer sind die Protagonisten. Was sind das für Teams. Was sind ihre Interessen. Was sind ihre Mittel.
Und dann laß das Spiel laufen.
Gib als Kommentator und Experte Hintergrundinfos und Einordnungen, aber laß das Spiel die Geschichten entwickeln.
Mein Määndern durch die Sportlandschaft der letzten Jahre hat viel mit der Suche nach solchen Orten zu tun, in denen das Spiel noch Spiel sein gelassen wird.
Sei es Kanada, sei es Neuseeland. Sei es in den unteren Ligen, weil dort die Aufwände für das Aufblasen der Spiele nicht betrieben wird.
Wenn ich in meinen Erinnerungen herum suche, war in den letzten Jahren der Sport, der bei mir das wärmste Gefühl der Zufriedenheit auslöste, die Übertragung des Mitre 10-Cups (NPC) 2020. Neuseeländisches Rugby, zweithöchste Liga. 14 Teams quer über beide Inseln verteilt. Ein verregnetes Winter-Spiel am späten Nachmittag in Southland. Regen. Vielleicht eintausend Zuschauer auf der Haupttribüne, während man links von der Tribüne den Autoverkehr an der Straße vorbeifahren sieht. Eine zweiundvierzigjährige Spielerlegende wird in den Schlussminuten eingewechselt und hilft dabei, einen 16:10-Vorsprung über die Zeit zu retten und Southlands zweiten Sieg in vier Jahren einzufahren.
Das Spiel hat seine Geschichte selber geschrieben. Ganz ohne Hilfe.