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Tag: Kieron Gillen

Cover des Trade Paperbacks

Warhammer 40,000 ist eine Science Fiction-Variante der Warhammer-Tabletop-Spiele — kleine Miniaturen auf einem Spielfeld, die taktische Kämpfe durchführen.

Aus der Rahmenhandlung für das Spiel wurde etliche Romane und Comics als Spin-Offs entwickelt. Seit 2019 liegt die Lizenz für die Comics bei Marvel und Kieron Gillen schrieb mit „Warhammer 40,000: Marneus Calgar“ das Entrée der Marvel-Ära, dem aber bislang nach Gillen nur noch eine Story folgte.

Das Cover zeigt bereits das wenig subtile Setting von „Warhammer 40,000“. Es spielt im 42ten Jahrhundert und ist auf Anschlag düster, gewalttätig und blutig. Der englische Ausdruck „Grimdarkgeht auf den Slogan von Warhammer 40k zurück: „In the grim darkness of the far future there is only war.

Die Menschheit lebt in einem Imperium, dass eine Mischung aus Theokratie und Militärstaat ist. Es gibt unterschiedliche Militärfraktionen, die sich der „Kräfte des Chaos“ und Häretikern wiedersetzen. Die Titelfigur von Gillens fünf Hefte umfassenden Mini-Serie ist Marneus Calgar, der Ordensmeister der Ultramarines. Gillen erzählt die Story in zwei Timelines: die Ausbildung von Calgar und die Rückkehr von Calgar auf seinem Geburtsplaneten, der sich feindlichen Angriffswellen ausgesetzt sieht.

Um es vorweg zu nehmen: ich gebe dem Comic 2 von 5 Sternen. Nicht weil er wirklich schlecht ist, sondern aufgrund kompletter Bedeutungslosigkeit. Gillen schafft es eigentlich meistens, einen Spin rein zu bekommen, der Stories über den Durchschnitt hebt. Hier haut es nicht hin. Der Plottwist der etliche Seiten später zum Finale führt, ist bereits nach dem zweiten Heft vorherzusehen.

Es ist mein erster Kontakt mit der Warhammer 40,000-Welt. Viele Prämissen, wie z.B. dieses Amalgam aus Militarismus, Faschismus und Theokratie, schreien ebenso nach einer Story mit Punch, wie die „Ausbildung“, denen ein Soldat von Kindheit an, ausgesetzt wird. Dieser fehlende Punch ist angesichts des krassen Ausgangsmaterial furchtbar. Ich kann nur spekulieren, dass der Lizenzgeber Games Workshop Gillen an der kurzen Leine hielt.

Panel im Manga-Style
Es amüsiert mich immer, wenn in US-Comics plötzlich Panels mit Manga-Stilmitteln eingesetzt werden (Speedlines, aufgebrochene Konturen, sogar die Augen sind recht groß geraten)

Zeichner Jacen Burrows macht noch das Beste aus Welt & Vorlage. Seine Kleinteiligkeit macht Zerstörung und Gewalt noch eindringlicher. Vor allem in den ersten Heften, als er noch selber das Inking besorgt, erinnert es ganz stark an Geof Darrow und seiner überzogenen Gewaltdarstellung. Der spätere Wechsel auf das Inking von Guillermo Ortego bekommt Burrows Zeichnungen nicht.

Vergleich zwischen dem Inking von Burrows und Ortego
Links ein Panel mit dem Inking von Burrows himself und rechts der geradezu langweilige Strich von Ortego. Keine Ahnung was in der Zeit zwischen diesen beiden Panels mit der Colorierung passiert ist. Da war wohl jemand in Eile oder hatte keinen Bock.

Am Ende werden es nicht mehr als 2 von 5 Sternen, für etwas, was handwerklich sauber ist und schnell weggelesen, aber doch underwhelming war.

2 von 5 Sternen.

Comic: „Peter Cannon: Thunderbolt”

Alternativ-Cover des ersten Peter Cannon: Thunderbolt-Heftes
Alternativ-Cover von Peter Cannon: Thunderbolt #1

Peter Cannon: Thunderbolt“ (PC-T) ist eine fünf Hefte umfassende Storyline von Gillen und Wijngaard (Hardcover-TPB erscheint Januar 2020).

Drei Anmerkungen zum Einstieg:

  • Die Storyline funktioniert nur als Ganzes. Es macht keinen Sinn, die Hefte einzeln zu betrachten.
  • Zum Genuss der vollen Dimension (no pun indended) der Storyline sollte man „The Watchmen“ von Alan Moore/Dave Gibbons kennen
  • Man beraubt sich der Hälfte des Spaßes, wenn man nicht die korrekte Anordnung der Doppelseiten hat. In der Comixology-Variante sind die falschen Seitenpaare als Doppelseite zusammengebündelt und man muss sich auf dem iPad mit dem Finger behelfen, um jeweils die richtigen Seitenpaare auf dem Screen zu haben.

Peter Cannon gehörte zum Superhelden-Kanon des Verlages Charlton Comics. Moore/Gibbons wollten 1986 ursprünglich Charlton-Superhelden für DCs „Watchmen“ verwenden. Doch DC, zwischenzeitlich im Besitz der Charlton-Lizenzen, wollte die Figuren nicht dafür freigeben. Moore/Gibbons mussten sich neue Figuren ausdenken und nahm u.a. Peter Cannon als Vorlage für Ozymandias.

Der Ausgangspunkt von PC-T ist eine Übernahme des „Watchmen“-Plots: eine vorgetäuschte Invasion von Außerirdischen. Diese übermächtige Schein-Bedrohung soll die zerstrittene Welt einen und damit für Wohlstand und Frieden sorgen. Cannon erkennt anhand des Studiums von alten Schriftrollen, dass der Drahtzieher niemand anderes als er selbst ist: ein Peter Cannon („Thunderbolt“) in einer Parallelwelt. Cannon geht mit Superhelden-Kollegen auf die Reise durch die Dimensionen.

Ohne „The Watchmen“ zu kennen, bekommt man eine Story, die clever mit Comic-Stereotypen und gestalterischen Formalitäten spielt. Weil Story, Layout, Zeichnung, Kolorierung und Lettering so clever ineinander spielen, bekommt man bereits auf dieser ersten Ebene, ein gutes Paket zusammengeschnürt. Inhaltlich dürften er/sie/es aber ähnlich ratlos davor stehen, wie vor den ersten Bänden von Grant Morrisons „Doom Patrol“.

Beim Versuch sich PC-T anzunähern, passiert schnell das, was im Englischen als „going down the rabbit hole“ bezeichnet wird – man steigt immer tiefer ein, entdeckt immer Neues und sucht nach immer mehr Anspielungen und Metaphern.

Gillen spielt mit dem Medium. Das ist zuvorderst bei den Zeichnungen zu erkennen. Die Grenze zwischen Medium und Leser*in, die Fourth Wall, wird aufgehoben.

Die folgende Doppelseite zeigt wie fünf Superhelden und Cannon am Boden liegen, innerhalb von aufgemalten Bodenmarkierungen, bevor sie die Reise durch die Parallelwelten antreten. Die sechs Superhelden angeordnet wie auf sechs Panels, die wiederum Bestandteil eines Panels werden, welches Thunderbolt um die Ohren fliegt.

Doppelseite von PC-T mit zwei 9-Panel-Raster
Wie PC-T auf einer Doppelseite mit dem 9-Panel-Raster spielt

Die Superkraft mit der Cannon sich und seine Kompagnons durch die unterschiedlichen Parallelwelten bringt, ist der „Formalismus“ (yep, I shit you not). Bei dem Einsatz von „Formalismus“, durchbricht Gillen/Cannon den Comic-Formalismus des strengen Layout-Rasters und wechselt die Zeichenstile.

Eine Doppelseite mit der Reise durch Parallelwelten
Eine Doppelseite mit der Reise durch Parallelwelten. Mit sechs Zellen eines 9-Panel-Rasters durch ein 9-Panel-Raster fliegen

Das strenge Layout-Raster in eines der Erkennungsmerkmale von „The Watchmen“, welches fast komplett in einem 9-Panel-Seitenraster gezeichnet ist.

Eine Doppelseite mit der Reise durch Parallelwelten
Klassisches 9-Panel-Raster von Watchmen

Wo in Watchmen Ozymandias vor einer Monitorwand sitzt, wird in PC-T die Monitorwand selber zum 9-Panel-Raster und es ist Thunderbolt, der dieses Raster durchbricht.

Panel mit Ozymandias vor einer Monitorwand
Ozymandias vor einer Monitorwand
Seite mit Thunderbolt vor einer Monitorwand
Thunderbolt, außerhalb des 9-Panel-Rasters, vor seiner Monitorwand

Man kann es als grundsätzliche Prämisse von PC-T bezeichnen, dem Medium Comic anhand von „ Watchmen“ den Spiegel vor zuhalten – „Watchmen“, im gleichen Jahr wie Frank Millers „The Dark Knight Returns“ erschienen und markiert mit Dark Knight einen Meilenstein in der US-Comic- und Superhelden-Landschaft.

Gillens PC-T zollt Watchmen nicht nur seinen Tribut. Das ganze Spiel mit der Superkraft „Formalismus“ ist auch eine Aufforderung, sich durch Watchmen die nächsten Fesseln auferlegen zu lassen. Und so wechseln sich in der Storyline Anspielungen auf Watchmen mit der bewussten Antithese ab.

Letzte Bildzeile von Watchmen
Letzte Bildzeile in „Watchmen“: „I leave it entirely in your hands…“ sagt der Redakteur zum Verschwörungstheoretiker, der in die Leserpost greift, wo u.a. die explosiven Tagebuchaufzeichnungen von „Rorschach“ liegen
Vorletzte Seite von PC-T
Vorletzte Seite von „Peter Cannon: Thunderbolt“: „I leave it entirely in your hands…“ sagt Cannon nach dem Kuss.

Thunderbolt ist in PC-T zwar eine Variante von Peter Cannon in seiner eigenen Dimension und seine Kleidung erinnert stark an Watchmens Ozymandias. Aber Thunderbolts Palast mit seiner Uhrmechanik-Ästhetik und das Symbol auf seiner Stirn, erinnern eher an Watchmens blauen Dr. Manhattan.

Panel mit Thunderbolt in seinem Palast
Thunderbolt und sein Palast
Panels mit Dr. Manhattans Atom-Symbol auf der Stirn
Dr. Manhattan brennt sich sein „Atom“-Symbol auf die Stirn
Panel mit Dr. Manhattan auf dem Mars
Dr. Manhattans Uhrwerks-Palast auf seinem Mars-Exil

Gillen und Wijngaard übernehmen nicht nur Bildelemente, sondern gleich ganze Bildzitate. Der Rausschmiss von Peter Cannon durch Peter Cannon/Thunderbolt ist eine komprimierte Version der legendären Bildsequenz zu Beginn der Watchmen, als der Watchmen Edward Blake/The Comedian aus seinem Penthouse geschmissen wird und zu Tode stürzt.

Seite in der Peter Cannon von Thunderbolt in die Tiefe geschmissen wird
Der Sturz von Peter Cannon in einer 5-Panel-Sequenz.
”Excess brutality“ von Rorschach
”Excess brutality“ von Rorschach
”Excess brutality“ von Rorschach
”Excess brutality“ von Rorschach
Die drei Panels, verteilt auf einer Seite, mit dem Todessturz von Edward Blake

Etliche Seiten später ist auch das Pendant, die Rückkehr von Peter Cannon, ein Bildzitat. Diesmal sogar mit identischer Panelaufteilung und ähnlichen oder gleichen Panel-Inhalten, wie das Pendant von Watchmen, wo Rorschach in das Appartement von Edward Blake einsteigt, um zu seinem Tod zu ermitteln.

Seite mit der Rückkehr von Peter Cannon in den Palast von Thunderbold
Peter Cannons Rückkehr und die Balance einerseits die Vorlage zu zitieren, andererseits den eigenen Zeichen- und Kolorierungsstil beizubehalten
Rorschach steigt durch das Fenster in das Penthouse von Edwards Blake ein
Gleiche Panelaufteilung 33 Jahre vorher, in Watchmen.

Etwas abstrakter wird die Formsprache von Watchmen Rorschach aufgegriffen – so benannt nach der Maske die er trägt und an den Rorschach-Test erinnert. Gillen/Wijngaard greifen die Formsprache von Rorschach-Muster auf ihrer Art auf…

Panel mit Watchmen Rorschach
Die Muster auf Rorschachs Maske sind stets in Bewegung, bleiben aber symetrisch.
Panel mit den Resten von „The Test“: Blutspritzer angeordnet in einem Rorschach-Muster
Ein Superheld weniger.

Teilweise werden auch nur kleine Handlungsmuster genommen, um an Watchmen zu erinnern, wie z.B. Rorschachs sadistischen Verhörmethoden…

”Excess brutality“ von Rorschach
Rorschach und seine Verhörmethoden zu Beginn von Watchmen
„Excess brutality“ von Thunderbolt
Thunderbolt: „Excess brutality – I invented it“ und schon geht der erste von zehn Fingern dahin.

So kopflastig PC-T konstruiert ist, so kann man sich schon an dem Offensichtlichen ergötzen: das ausgefeilte Layout, die Zeichnungen, die Kolorierung und das Lettering. Die Perfektion und die Sensibilität erschließt sich auch ohne das Wissen um die Meta-Ebene. Aber mit der Meta-Ebene, wird man ein zweites und ein drittes Mal zu PC-T zurückkehren, möglicherweise auch im Doppelpass mit „Watchmen“, um all die Seitenpfade zu entdecken und zu verstehen.
Es ist wieder ein Computerspiel, dass man nach dem ersten Durchspielen, weitere Male spielt, um alle Nebenquests aufzulösen.

4 von 5 Sternen.

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