Am letzten Freitag fand die zweite Ausgabe der Nightly Build statt, einer "After Work"-Veranstaltung die von einigen Webentwicklern organisiert -- knapp 150 Leute hörten sich ab 18h30 bis gegen 23 Uhr fünf Vorträge an, die angenehmerweise keine Hardcore-Technik-Vorträge waren, sondern sich mehr mit den Befindlichkeiten von Entwicklern beschäftigten.
This year’s central theme is ‘Work efficient and live your life’. With our speaker and topic selection we want to give you a guide on how to improve the holy grail of ‘work-life balance’.
Ein Thema über das ich seit einigen Jahren in immer stärkeren Maße nachdenke – ohne dass ich in Stressphasen a.k.a. den Wochen vor Deadlines, dies wirklich im Griff hätte.
Die Nightly Build 2015 war eine charmante und nachdenkliche Veranstaltung durch die der großartige Christian Heilmann führte. Vier der fünf Vorträge sind von Frauen gehalten worden. Der Frauenanteil im Publikum dürfte grob bei 20-25% gelegen haben.
An dieser Stelle Dank an die Veranstalter für den runden Abend: schöne Location (das Theaterhaus in Köln-Ehrenfeld), schönes Catering, sehr guten DJ, gute Vorträge. Kurz: es hat fast alles gestimmt. Auf Flickr gibt es ein Fotoset von der Veranstaltung.
Zwei Dinge habe ich bedauert: die zu kurzen QAs mit Chris Heilmann nach jedem Vortrag und irgendwie wirkte eine After-Show-Party nach den nachdenklichen Themen deplaziert – aber das ist vermutlich eher mein Problem, da die angesprochenen Themen mich mehr berühren, als es den meisten anderen gehen dürfte.
Was blieb, war eine Veranstaltung, die keine ganz großen, neuen Themen brachte, aber die zumindest für mich nützlich war, weil sie bestimmte Punkte mir noch einmal einhämmerte und mit etwas anderer Perspektive auch verstärkte.
Zu jedem der fünf Vorträge habe ich einen Blogeintrag geschieben.
- Hier: Teil 1: Bastian Allgeier mit "Homemade Pressure". Wie geht ein Entwickler mit der Erwartungshaltung um, die Kunden an sein Softwareprodukt haben.
- Teil 2: Ashley Williams mit "If you wish to learn ES6/ES2015 from scratch, you must first invent the universe". Code als Sprach- und Ausdruckswerkzeug.
- Teil 3 Stefanie Schirmer mit "A Culture of Courage". Über eine Team- und Firmenkultur (bei Etsy) die Entwickler integriert und versucht "Wissensghetto" zu vermeiden.
- Teil 4: Garann Means mit "Code is a Job". Über die richtige Einstellung zur Arbeit, wider der Ausbeutung und dem Ausbrennen von Webentwicklern.
- Teil 5: Lizzie Mary Cullen mit "Overcoming the Fame Game". Über die Kämpfe in Kopf und Herz, die lähmen und einen Ausbrennen lassen.
Bastian Allgeier, "Homemade Pressure"
Im Rahmen des roten Fadens des Abends, stellte Bastian Allgeier mit seinen beiden Projekten so etwas wie das Praxisbeispiel für die Probleme rund um Work/Life-Balance.
Bastian erzählte aus seinen Erfahrungen, wie er einst im Studium recht blauäugig begann, das Bookmarking-Portal "Zootool" zu programmieren und für Nutzer zu öffnen und wie das Projekt im Laufe der sieben Jahre ihm über den Kopf wuchs und ihn sowohl finanziell aus auch mental überforderte. Vor lauter Verantwortung für die Userdaten nicht schlafen können. Derart überfordert zu sein, dass man die Mailbox mit Supportanfragen wegschmeisst. 2014 machte er den harten Cut und schloss Zootool.
Als Gegenpol startete Bastian 2012 Kirby, ein datei-basierendes CMS. In dem Projekt versuchte er die Lehren aus Zootools umzusetzen. Bezahlmodell. Zeitfenster für Kundensupport berücksichtigen. Fokussierte Produktentwicklung. Das ist ihm, wie er selber zugibt, nicht fehlerlos gelungen, aber er scheint jetzt wesentlich eher in Kirby eine nachhaltige Zukunft zu sehen, als es bei Zootool der Fall gewesen ist.
Hängen geblieben sind bei mir vier Punkte. "Boring is awesome" als Kontrapunkt für den Entwickler-Fetisch permanent seinen Werkzeugkasten zu hinterfragen und stattdessen den neuen heißen Scheiß hinterher zu jagen. Er bleibt für Kirby bei seinem Werkzeugkasten. Wenn ihm Kirby mal ein paar Tage zu langweilig wird, spielt er mit neuen gehypten Frameworks – aber er versteht es mehr als Sandkasten und Forschungsreise um mal aus der Monotonie des Hauptprojektes auszuberechen.
Fokus. Es ist so leicht den Fokus zu verlieren. Sei es durch neue Tools. Sei es in dem man permanent den Featurewünschen von Kunden hinterher rennt. Bugfixing in Github sei für ihn geradezu eine Sucht gewesen. Das mag für Nicht-Entwickler schwer verständlich sein, aber die Zahl der Bugs (Bugcount) ist für Entwickler und Projektmanager die am einfachsten zu verstehende Metrik. Das Reduzieren dieser Zahl, weckt sehr schnell sportlichen Ehrgeiz, der aber zu Lasten einer qualitativen, nachhaltigen Lösung gehen kann. Aber gerade in Endphasen von Projekten schwenkt vieles in eine Richtung, in der es nur noch um Reduktion des Bugcounts geht, koste was es wolle. Der eigentliche Fokus, die Softwarequalität, rückt in den Hintergrund. Soll es nicht. Aber zu diesem Zeitpunkt hat man bei größeren Projekten durch diverse politischen und fachlich nicht begründbaren Entscheidungen eh schon den Glauben verloren, dass Softwarequalität und Nachhaltigkeit bis zur Deadline von Relevanz sind.
Bezahlmodell. Kirby ist ein Projekt, das zwar nicht Open Source vorliegt, aber über Github heruntergeladen werden kann.
Kirby's license model is based on a single idea: you should be happy with Kirby first, before you buy a license. Try Kirby on your local machine or on a private test server. Once you are sure that Kirby fits your project, get your license key and publish your site.
Bastian führte aus, wie ihn alle angesichts dieses Bezahlmodell für wahnsinnig erklärten, die Software zu Testzwecken offen in einem Github-Repository abzulegen. Tatsächlich ist er sehr zufrieden mit diesem Modell und es brachte ihm bislang 6.000 Lizenzkäufer ein.
Zum Erfolg von Kirby trug auch die bewusste Pflege von Dingen rund um das Produkt bei: Dokumentation, die Community und Support. Bastian hatte anfangs die Wichtigkeit der Community unterschätzt und ganz auf die Kraft einer eigenen Foren-Software gesetzt – nur um dann festzustellen, dass die geringe Zahl der Anfragen wie Forum nicht an der perfekten Kirby-Software, sondern seiner schlechten Foren-Software lag. Seit er Discourse einsetzt, hat sich die Qualität der Community und der Communitybetreuung massiv verbessert. Damit verbesserte sich auch seine Dokumentation. Jede Supportanfrage versteht er als verkappte Aufforderung die Dokumentation nachzubessern.
Er hat seinen Tagesablauf so strukturiert, dass er Kirby auch weiterhin als Ein-Mann-Unternehmen weiterführen kann. Bestimmte Zeitblöcke eines Tages sind für die Dokumentationspflege und bestimmte Zeitblöcke für Supportanfragen reserviert.
Kirby ist für mich ein interessantes Beispiel, wie man kostenpflichtige Softwareprodukte mit großer Transparenz entwickeln kann und dabei noch seinen (finanziellen) Schnitt machen kann. Bastian vertraut dabei der "Ehrlichkeit" genügend vieler Nutzer, die aus dem Eigeninteresse der fortgesetzten Entwicklung von Kirby, die Lizenz kaufen. Die interessante Frage ist, ob jede Zielgruppe eines Softwareprojektes genauso gestrickt ist. Ich fürchte: Nein.