Dies ist der fünfte von fünf Blogeinträgen zur Nightly Build 2015 in Köln. Hier geht es los.
- Teil 1: Bastian Allgeier mit "Homemade Pressure". Wie geht ein Entwickler mit der Erwartungshaltung um, die Kunden an sein Softwareprodukt haben.
- Teil 2: Ashley Williams mit "If you wish to learn ES6/ES2015 from scratch, you must first invent the universe". Code als Sprach- und Ausdruckswerkzeug.
- Teil 3 Stefanie Schirmer mit "A Culture of Courage". Über eine Team- und Firmenkultur (bei Etsy) die Entwickler integriert und versucht "Wissensghetto" zu vermeiden.
- Teil 4: Garann Means mit "Code is a Job". Über die richtige Einstellung zur Arbeit, wider der Ausbeutung und dem Ausbrennen von Webentwicklern.
- Hier: Teil 5: Lizzie Mary Cullen mit "Overcoming the Fame Game". Über die Kämpfe in Kopf und Herz, die lähmen und einen Ausbrennen lassen.
Lizzie Mary Cullen, "Overcoming the Fame Game"
Lizzie Mary Cullens Vortrag lässt sich nicht zusammenfassen. Die englische Illustratorin ist eine Naturgewalt gewesen. Kauzige, kleine Bildgeschichten wechselten sich mit Erzählungen aus ihrem Leben ab – sehr persönlichen Erzählungen über ihre beruflichen Sinnkrisen und Stress. Der Vortrag war sowohl in Form als auch Inhalt eine Überraschung – auch weil er aus einem anderen Koordinatensystem jenseits der Frontend-Welt zu kommen schien, aber im Laufe des Vortrages sich Parallelen zur Biografie eines Entwicklers zeigten.
Lizzies Parforce-Ritt war in Tempo und Intensität so viel, dass ein Chris Heilmann sinnvollerweise nach dem Vortrag keine Fragen mehr stellte, sondern Lizzie nur in seine Arme nahm – ein passender Schlusspunkt zum Vortrag und zum Abend.
Gleichzeitiger war dieser Vortrag auch für mich ein Wiedersehen mit meinen "Dämonen" – bevor ich zum Webdesigner/Frontend-Entwickler wurde, habe ich Illustration studiert und meine erste Anstellung war als Phasenzeichner/Animator bei einer Multimedia-Agentur. Acht Jahre habe ich per Studium oder beruflich gezeichnet. Das Studium als Kinderbuch-Illustrator an der FH Hamburg wurde mit zunehmender Zeit intensiv. Es war kein straffer Bachelor mit vorgegebenen Lehrplan, wie man es heute gewohnt ist, sondern ein Studium das letztendlich auch der Suche nach seinen Interessen, nach seinen Ausdrucksformen und nach sich selbst dient. In Berufen wo das Handwerk so eng mit einer eigenen Ausdrucksweise verbunden ist, ist dieses Studium auch mit einer permanenten Suche und Selbsthinterfragung verbunden. Dies geht an die Substanz – umso mehr, wenn sich im Laufe des Studiums die Frage stellt, ob die eigenen Qualitäten so gut sind, dass man damit als Selbständiger Geld verdienen kann.
Beim permanenten Hinterfragen der eigenen Qualitäten und bei der Suche nach dem Heiligen Gral der Perfektion, kommen Entwickler und Illustrator zusammen.
Lizzie erzählte von der eigenen Stimme, die immer wieder Dinge fand, die andere besser machten als sie. Dieses Hinterfragen wurde so intensiv, dass sie eines Tages die Reißleine zog und in eine Illustratoren-Kommune im Nordosten der USA reiste. In der Abgeschiedenheit machte sie die Erfahrung, wie mit einer Reduktion von äußeren Einflüssen gezeichnet werden kann.
Am meisten hat sie aber eine Episode geprägt, die sie als "Nahtoderfahrung" beschreibt. Beim Wandern entlang einer ehemaligen Eisenbahntrasse im Nordosten der USA, begegnete sie einem kleinen Bären – und wusste aus Büchern: wo ein kleiner Bär ist, ist auch eine aggressive Bärenmutter die aus ihren Mutterinstinkten heraus, Menschen angreifen wird. Lizzie erstarrte, überlegte panisch wie sie reagieren sollte und rannte nach einiger Zeit kopflos die Trasse runter. Einige Minuten später hörte sie auf zu Laufen, drehte sich um und sah am Horizont… nix.
Diese Nahtoderfahrung soll Lizzie geholfen haben, "loszulassen", sich auf sich selbst zu besinnen, statt sich immer mit anderen zu vergleichen. Implizit steckte aber auch die Erfahrung dahinter, vor lauter Selbstzweifeln und "Über-Denken" in Tatenlosigkeit zu erstarren und darin umzukommen.
Wie gesagt: was sie da in knapp einer Dreiviertelstunde abgerissen hat, kann nicht nacherzählt werden. Ich hoffe dass das Video des Vortrages bald veröffentlicht wird. Lizzie sprühte jedenfalls am Abend in Köln vor Freude und Sympathien, das ich am liebsten von ihr eine kleine Puppe mitgenommen hätte, die mir den ganzen Tag Geschichten erzählt – außer es läuft Fußball im Fernsehen.