Dies ist der vierte von fünf Blogeinträgen zur Nightly Build 2015 in Köln. Hier geht es los.
- Teil 1: Bastian Allgeier mit "Homemade Pressure". Wie geht ein Entwickler mit der Erwartungshaltung um, die Kunden an sein Softwareprodukt haben.
- Teil 2: Ashley Williams mit "If you wish to learn ES6/ES2015 from scratch, you must first invent the universe". Code als Sprach- und Ausdruckswerkzeug.
- Teil 3 Stefanie Schirmer mit "A Culture of Courage". Über eine Team- und Firmenkultur (bei Etsy) die Entwickler integriert und versucht "Wissensghetto" zu vermeiden.
- Hier: Teil 4: Garann Means mit "Code is a Job". Über die richtige Einstellung zur Arbeit, wider der Ausbeutung und dem Ausbrennen von Webentwicklern.
- Teil 5: Lizzie Mary Cullen mit "Overcoming the Fame Game". Über die Kämpfe in Kopf und Herz, die lähmen und einen Ausbrennen lassen.
Garann Means, "Code is a Job"
Garann Means' Präsentation ist in gewisser Weise eine Fortsetzung einiger Gedankengänge des Vortrags von Stefanie Schirmer. Garanns Slides sind bei Speakerdeck.
Verbindungsstücke zu Stefanies Vortrag sind die Meritocracy oder die grundsätzliche Entwicklerkultur, den Code, bzw. die Arbeit zu persönlich zu nehmen. Die Handlungsempfehlung von Garann steckt im Titel: "Code is a job", besser: Coding ist nur ein Job.
Was die Präsentation auf Speakerdeck oder eine bloße Nacherzählung des Vortrages nicht zeigt, ist die Verletzlichkeit die Garann während ihres Vortrages durchblicken ließ. Ohne dass sie es direkt erwähnte, aber ich hatte immer das Gefühl, dass hier eine verletzte Person von ihren eigenen Erfahrungen spricht. Und das machte Garanns Vortrag rührender, aber auch verbitterter als Stefanies euphorischer Vortrag über die Kultur bei Etsy.
Garann spricht von Meritocracy, also dem Standing das in direkter Abhängigkeit von dem steht, dass du produzierst, als "is a hell of a drug" und daraus resultierend "passion is poison". Denn von dieser Passion profitiert in dem derzeitigen System vorallem dein Arbeitgeber/Auftraggeber. Meritocracy und Passion sind die Drogen, die zur Selbstausbeutung führen, zu der du dann freudig selbst beiträgst, ohne dass du es merkst. Am Ende hat der Kunde das Produkt und du bist ausgelutscht.
Ein "Scheitern" wird in diesem Kontext als Konsequenz wahrgenommen, das man nicht das aktuell gehypte Framework benützt, nicht hinreichend Zeit in Open Source investiert, zuviel andere Interessen hat oder nicht enthusiastisch genug am Thema dran ist. Dann bist du halt innerhalb der Meritocracy nix.
Garann konstrastiert diese Denke mit wissenschaftlichen Untersuchungen, die zeigen, dass sich mit weniger Arbeitsstunden pro Woche, produktiver (im Sinne des BSP) arbeiten lässt – mit einem Optimum was irgendwo bei oder unterhalb von 40 Wochenstunden liegt.
Garann führt vor Augen, dass am Ende des Tages nicht das Werkzeug zählt, sondern das Produkt, besser: die User Experience (oder: Kundenzufriedenheit) des Produkts.
Es gibt keine natürlich begabten Coder. Es gibt keine Coding Skills. Viel mehr handelt es sich dabei nur um eine Ausprägung der beiden Kerneigenschaften: Probleme lösen und Kommunikation.
Diskussionen über den zu bevorzugenden Editor bringen nicht weiter, sondern der Blick über den Tellerand abseits des Codes. Spazierengehen zum Nachdenken. Freundschaften pflegen und Bücher lesen um andere Perspektiven kennen zu lernen. Manuelle Arbeiten wie Heimwerken oder Kochen – weil dieses Arbeiten auch einiges über das Coding lehrt.
Coder profitieren davon, wenn sie nicht coden. Die Prioritäten ihres Lebens sollte sich danach ausrichten. In abnehmender Wichtigkeit:
- Lebenswichtige Grundbedürfnisse: Essen, Wasser, Schlafen
- Sicherheit und Schutz
- Freunde und Liebe
- Respekt
- Code (mit zunehmenden Alter abgelöst durch A better World)
Für viele Coder scheint *Code eher an erster oder zweiter Stelle zu stehen. Sie reiben sich damit auf und beuten sich aus. Am Ende steht der Burn Out. Nachhaltiger Code meint nicht nur guten Code, sondern auch Arbeit die für den Coder gut ist.
Great code is more than just some typing – great code gets you home in time for dinner.
Bei der zu kurzen Diskussion nach dem Vortrag, setzte Chris Heilmann an der von Garann als negativ gebrandmarkten Passion an (Garann: passion is poison). Passion gäbe es auch in der Ausprägung "Begeisterung" und damit auch als positive Triebfeder.
Beide einigten sich schnell darauf, dass es letztlich auf ein "es kommt darauf an…" hinaus läuft.
Man kann Garanns Vortrag als zu extrem, zu pessimistisch und zu idealistisch brandmarken. Und trotzdem braucht es solche Vorträge (und die Vorträge von Bastian, Stefanie und später Lizzie) um das Diskussionen und Nachdenken zu fördern. Der ganzen Coding-Kultur ist eigen, dass der Grat zwischen gut und too much und damit schädlich nur sehr schmal ist. Und too much mach kaputt. Burn Out. Depressionen. Nach zehn, fünfzehn Jahren merken, dass man die falsche Abzweigung genommen hat und nun Dinge nachholen muss, um zurück zu einer normalen Lebensqualität zu finden – zu einem Zeitpunkt wo man irgendwo zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt ist und schon mit eingeengten Handlungsspielraum agieren muss.
Nicht umsonst wird seit 2-3 Jahren das Thema Depression innerhalb der Webentwickler so stark diskutiert, dass seit letztes Jahr für Ende Oktober eine "Geek Mental Help Week" versucht wird zu etablieren.