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Comic: „Ducks – Two Years in the Oil Sands“

Hardcover-Einband

Es gibt in Nordamerika eine Schule von autobiographsichen Comics, sehr häufig mit sehr reduzierten Zeichnungen und Seiten-Layouts. Der „Hit“ der letzten Jahre war Kate Beatons „Ducks: Two Years in the Oil Sands“. In der Szene räumte es den Will Eisner-Preis für die beste Autobiographie ab und außerhalb der Comic-Blase räumte es Empfehlungen der New York Times und Barack Obamas ab.

In „Ducks“ schildert die Kanadierin, wie sie zwei Jahre lang im mittleren Westen Kanadas auf den Ölsandfeldern Albertas gearbeitet hat. Doch die letzten siebzehn Wörter greifen als Zusammenfassung der 430 Seiten viel zu kurz. Zu umfangreich sind die Facetten um auf alle einzugehen.

Das beginnt, wie der Comic, mit der Herkunft Beatons: Nova Scotia, die im Osten vorgelagerte Halbinsel Kanadas, die so anders als der Rest Kanadas tickt. Und Beaton stammt eigentlich nicht aus Nova Scotia, sondern den Kap Breton-Inseln, die noch einmal ein Stück im Nordosten weiter vorgelagert sind. In Kap Breton gibt es noch massive keltische und französische Einflüsse. Gleichzeitig gab es in den letzten Jahrzehnten Abwanderung und man kämpft um seine Identität.

Ein Teil des Problems, sind die fehlenden Arbeitsplätze. Die wenigen Arbeitsplätze, die es noch gibt, sind häufig nicht lukrativ. Viele Einwohner zieht es daher zur Arbeit in weit entfernte Landesteile Kanadas, um die Familie zuhause zu ernähren.

Auch Kate Beaton ist dieser Mechanik ausgesetzt, als sie vor der Frage steht, wie sie ihre massiven Studentenkredite wieder abbezahlen soll. Nichts in Kap Breton wirft genügend ab, um substantiell von ihrer Verschuldung herunter zu kommen. Und so geht sie den Weg vieler Kanadier: den Ölboom auf den Ölsand-Feldern Albertas nutzen, um für 1-2 Jahre dort viel Geld zu machen und ihre Schulden abzuzahlen.

Die simplen Zeichnungen sollten nicht über die Komplexität der Facetten von Beatons Schilderung hinweg täuschen. Das erste Mal für längere Zeit von Kap Breton weg. Heimweh. Die absurde Welt der Ölsandfeldern. Die toxische Maskulinität auf den Feldern. Die Umweltzerstörung. Der Raubbau an den Ländern der First Nations. Die Isolierung. Die Einsamkeit. Die Stupidität der Arbeit. Die sexuellen Übergriffe. Die zunehmende Leere und Depression. Die Monstrosität, die die Arbeit und Umgebung körperlich und geistig bei den Arbeitern und Angestellten hinterlässt.

All das, eingebettet in die tägliche Routine, zwei Jahre lang. Umgesetzt in Form eines sehr statischen Layouts und eines Erzähltempos mit wenig Höhepunkten, aber im stoischen Takt eines Tages, dem der nächste Tag folgt. Und der nächste Tag. Und der nächste Tag.

Erzählerisch liegt Beatons Meisterschaft darin, trotz dieser Statik, die langfristigen Änderungen darzustellen. Die Vergewaltigung ist dann kein dramatischer Höhepunkt mehr, sondern folgerichtige Conclusio aus den vorherigen Vorfällen und dem Umfeld.

Beatons Zeichnungen spiegeln den Erzählstil wider. Es sind sehr einfache Zeichnungen, auf das Essentielle heruntergedampft. Sie betonen mit ihrer Einfachheit den Tagebuchcharakter und die „Höhepunktlosigkeit“ des Buches. Der simple Strich sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass sie immer die „Essenz“ des Charakters oder des Gegenstands trifft. Im Laufe der zwei Jahre trifft sie viele unterschiedliche Menschen, die sie aber tatsächlich mit einem Minimum an Strichen unterscheidbar macht.

Die Essenz Beatons Zeichnungen liegt in dem „Fühlbar-Machen“ der Stimmung und Atmosphäre, abseits anatomisch korrekter Zeichnungen.

Ich glaube der Knackpunkt, ob einem „Ducks“ gefällt oder nicht, liegt in der Akzeptanz des Erzähltempos von Beaton. Ob man die repetitive, monotone Erzählung als Stilmittel, als Spiegelung des Beaton’schen Alltags in Alberta akzeptiert.

4 von 5 Sternen.

Cover des Trade Paperbacks

Injection“ ist eine Comic-Serie, geschrieben von Warren Ellis, gezeichnet von Declan Shalvey und koloriert von Jordie Bellaire. Zwischen 2015 und 2017 erschienen 15 Hefte, ehe die Serie vorerst auf Eis gelegt wurde und bis heute auf eine Fortsetzung wartet.

Die Serie wirkt als wäre Ellis durch seinen Zettelkasten gegangen und hätte aus einer Handvoll von Notizen eine Serie konstruiert. Ellis besetzt einige seiner Dauerthemen der letzten Jahre: Mystik, Mythologie, supranationale Geheimorganisationen und -behörden, Internet und künstliche Intelligenz.

Der rote Faden durch die fünfzehn Hefte ist sehr lose und die Plots der drei Storybögen schlingern gewaltig. Die britische Regierung baut eine Abteilung „Cultural Cross-Contamination Unit“ auf. Die Leiterin Maria Kilbride scharrt vier weitere Spezialisten um sich. Der Auftrag der Abteilung: sich Gedanken darüber machen, wie sich die Menschheit in Zukunft weiter entwickelt. Nach sechs Monaten kommt die Abteilung zum Schluss, dass jedwede Entwicklung stagniert.

Die Abteilung kommt zum Schluss, dass die Welt „Accelerationism“ braucht und beschließt insgeheim eine AI ins Internet zu „injizieren“ (yup, daher der Titel). Die Abteilung wird danach aufgelöst … und Dinge fangen an schief zu gehen…

Ellis ist mit „Accelerationism“, das nach 2016 einen Hype erfuhr, früh dran. Der Wikipedia-Eintrag zu „Accelerationism“ lässt dabei seine Inspiration erahnen: die Universität Warwick hatte von 1995 bis 2003 ein Kollektiv namens „Cybernetic Culture Research Unit“, Ähnlichkeiten zu „Cultural Cross-Contamination Unit“ zufällig? Das Universitäts-Kollektiv gilt als Katalysatoren für die Diskussion von „Accelerationism” in den letzten 2–3 Jahrzehnten.

Es ist nicht uninteressant, aber Ellis macht Lesenden das Leben nicht einfach. Der erste Sammelband springt brutal in der Timeline hin- und her. Nicht immer wird deutlich, in welcher Zeit man sich befindet. Damit wird aber das Fundament, auf dass „Injection“ basiert, nicht klar gesetzt und auch nicht großartig diskutiert.

In der Folge fehlt den Heften der Zusammenhalt und stellt die Frage nach dem Endgame von Warren Ellis.

Der Reigen von Protagonisten ist sehr heterogen – von anfassbaren Menschen bis hin zu artifiziell konstruierten Charakteren, die aus jeder Pore nach Konzept riechen.

Die Zeichnungen von Declan Shalvey sind okay. Es sind immer wieder unbeholfene Details dabei, aber die Zeichnungen haben Herz – auch durch den Mut des sparsamen Striches, unterstützt durch eine exzellente Kolorierung.

Was am Ende aber von „Injection“ hängen bleiben wird, sind die Löcher, die von Ellis nicht ausformuliert wurden. Das kann man den ein oder zwei noch geplanten, aber derzeit noch fehlenden Storybögen anhängen. Oder man kann sich fragen, ob dies ein grundsätzliches Problem eines Warren Ellis in den letzten Jahren geworden ist.

3 von 5 Sternen.

Cover des Trade Paperbacks

Warhammer 40,000 ist eine Science Fiction-Variante der Warhammer-Tabletop-Spiele — kleine Miniaturen auf einem Spielfeld, die taktische Kämpfe durchführen.

Aus der Rahmenhandlung für das Spiel wurde etliche Romane und Comics als Spin-Offs entwickelt. Seit 2019 liegt die Lizenz für die Comics bei Marvel und Kieron Gillen schrieb mit „Warhammer 40,000: Marneus Calgar“ das Entrée der Marvel-Ära, dem aber bislang nach Gillen nur noch eine Story folgte.

Das Cover zeigt bereits das wenig subtile Setting von „Warhammer 40,000“. Es spielt im 42ten Jahrhundert und ist auf Anschlag düster, gewalttätig und blutig. Der englische Ausdruck „Grimdarkgeht auf den Slogan von Warhammer 40k zurück: „In the grim darkness of the far future there is only war.

Die Menschheit lebt in einem Imperium, dass eine Mischung aus Theokratie und Militärstaat ist. Es gibt unterschiedliche Militärfraktionen, die sich der „Kräfte des Chaos“ und Häretikern wiedersetzen. Die Titelfigur von Gillens fünf Hefte umfassenden Mini-Serie ist Marneus Calgar, der Ordensmeister der Ultramarines. Gillen erzählt die Story in zwei Timelines: die Ausbildung von Calgar und die Rückkehr von Calgar auf seinem Geburtsplaneten, der sich feindlichen Angriffswellen ausgesetzt sieht.

Um es vorweg zu nehmen: ich gebe dem Comic 2 von 5 Sternen. Nicht weil er wirklich schlecht ist, sondern aufgrund kompletter Bedeutungslosigkeit. Gillen schafft es eigentlich meistens, einen Spin rein zu bekommen, der Stories über den Durchschnitt hebt. Hier haut es nicht hin. Der Plottwist der etliche Seiten später zum Finale führt, ist bereits nach dem zweiten Heft vorherzusehen.

Es ist mein erster Kontakt mit der Warhammer 40,000-Welt. Viele Prämissen, wie z.B. dieses Amalgam aus Militarismus, Faschismus und Theokratie, schreien ebenso nach einer Story mit Punch, wie die „Ausbildung“, denen ein Soldat von Kindheit an, ausgesetzt wird. Dieser fehlende Punch ist angesichts des krassen Ausgangsmaterial furchtbar. Ich kann nur spekulieren, dass der Lizenzgeber Games Workshop Gillen an der kurzen Leine hielt.

Panel im Manga-Style
Es amüsiert mich immer, wenn in US-Comics plötzlich Panels mit Manga-Stilmitteln eingesetzt werden (Speedlines, aufgebrochene Konturen, sogar die Augen sind recht groß geraten)

Zeichner Jacen Burrows macht noch das Beste aus Welt & Vorlage. Seine Kleinteiligkeit macht Zerstörung und Gewalt noch eindringlicher. Vor allem in den ersten Heften, als er noch selber das Inking besorgt, erinnert es ganz stark an Geof Darrow und seiner überzogenen Gewaltdarstellung. Der spätere Wechsel auf das Inking von Guillermo Ortego bekommt Burrows Zeichnungen nicht.

Vergleich zwischen dem Inking von Burrows und Ortego
Links ein Panel mit dem Inking von Burrows himself und rechts der geradezu langweilige Strich von Ortego. Keine Ahnung was in der Zeit zwischen diesen beiden Panels mit der Colorierung passiert ist. Da war wohl jemand in Eile oder hatte keinen Bock.

Am Ende werden es nicht mehr als 2 von 5 Sternen, für etwas, was handwerklich sauber ist und schnell weggelesen, aber doch underwhelming war.

2 von 5 Sternen.

Isaac Asimov: „Foundation“-Trilogie

Foundation-Trilogie

Die „Foundation“-Trilogie von Isaac Asimov gilt als eines der großen Werke der Science-Fiction. Durch die neue Serie bei AppleTV ist die Trilogie wieder ins Gespräch bekommen.

Ach, Asimov. Als Jugendlicher habe ich die leicht verdaulichen Roboter-Romane von ihm verschlungen. Doch irgendwann wurde es mir zu fad. Die Romane waren mir zu viel Verpackung für den eigentlichen Kern, das in der Regel ein Gedankenexperiment rund um die drei Asimov’schen Gesetze der Robotik war.

35 Jahre später hatte ich ein Déja Vu.

Der Plot

In ca. 12.000 Jahre ist die Menschheit ein galaktisches Imperium von über 25 Millionen Planeten. Die Trilogie startet mit dem Moment, an dem der Zerfall des galaktischen Imperiums einsetzt – vergleichbar mit dem Fall des römischen Imperiums.

Im ersten Band prognostiziert die Koryphäe der „Psychohistorie“, Hari Seldon diesen Untergang, gefolgt von einer 30.000 Jahre lange Periode der Düsternis. Nach seinen Berechnungen lässt sich diese dunkle Zeit aber durch Gründung einer „Foundation“ auf tausend Jahre verkürzen. Alles Wissen des Imperiums soll durch die „Foundation“ in einer Enzyklopädie des galaktischen Wissens zusammentragen werden.

Seldons „Psychohistorie“ ist eine Wissenschaft, die auf Basis des Verhaltens von Menschenmassen , die Zukunft berechnet. Seldons Plan ist aber nur oberflächlich der Aufbau der Enzyklopädie.

Wenn die NASA heute eine Raumsonde für eine Mission startet, dann fliegt diese Sonde nicht in einer geraden Linien von der Erde zum Ziel. Häufig werden komplexe Flugbahnen um Monde und Planeten herum berechnet, um über die Anziehungskraft der Himmelskörper an Geschwindigkeit zu gewinnen und in die richtige Richtung gelenkt zu werden

Das ist eine gute Metapher für Seldons eigentlichen Plan: die Menschheit wird auf eine von Seldon berechnete, komplizierte historische Bahn gebracht, um die dunkle Zeit zu verkürzen. Aber es ist für den Erfolg von Seldons Plan entscheidend, dass sich die Menschheit so verhält, wie von Seldon berechnet. Dazu darf die Menschheit keine Details von Seldons Plan wissen – sie würde sich sonst „unnatürlich“ verhalten und damit von der von Seldon voraus berechneten historischen Bahn abweichen.

Der Plot der Trilogie springt chronologisch in der Timeline von Episode zu Episode … und hört, zu meiner Überraschung, bereits nach zirka 400 Jahre auf, bevor die düstere Zeit zu Ende ist.

Der Ausdruck „Plot“ ist eigentlich falsch. Vielmehr handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Episoden, die von entscheidende Momente im „Bahnverlauf“ der Menschheitsgeschichte dieser dunklen Ära handeln. Es sind kleine Kammerspiele. Handlung wird durch eine schier endlose Abfolge von Dialogen ersetzt.

Hinter dem Plot

Die „Foundation“-Trilogie gehört zu den Frühwerken von Asimov. Die ersten Episoden wurden 1942 geschrieben – also vor fast einem Jahrhundert alt.

Die Trilogie ist leider unsäglich altbacken. Das ist angesichts des Alters der Trilogie verständlich, hat mich aber trotzdem genervt.

Die Trilogie hat weitere Probleme, die weniger mit dem Alter und mehr mit der Person Asimovs zu tun haben.

Auf 880 Seiten kommen sage und schreibe drei bis vier Mädchen bzw. Frauen als Protagonistinnen vor. Dieser Umstand gewinnt vor dem Hintergrund der seit einigen Jahren bekannten Vorwürfe der sexuellen Belästigung durch Asimov, an Fallhöhe.

Die Trilogie ist sehr, sehr fade (engl: „bland“ trifft es IMHO besser) geschrieben. Das lässt sich an den Charakteren festmachen, die austauschbar sind und nur als Sprechapparate für Asimovs Dialoge dienen.

Im Laufe der 880 Seiten hat es kein Moment geschafft, in meinem Kopf Bilder entstehen zu lassen. Ich kann mich nicht erinnern, wann es bei mir im Kopf nach einem Buch zuletzt so blank war.

Dieses Problem zieht sich durch die komplette Trilogie. Der große Storybogen dürfte in einem Exposé spannend zu lesen sein – auf 880 Seiten gestreckt bleibt, bleibt aber nur Leere zurück.

Die Ursachen, warum es auf den Welten so ist, wie es ist, werden nicht klar. Warum zeigen Gesellschaften auch über einen Zeitraum von 400 Jahren, den gleichen mittelalterlichen Habitus? Warum wird nach 400 Jahren unverändert geraucht und ferngesehen, wie es zu Beginn der Trilogie der Fall war? Warum wirken die Menschen wie identische Klons, obwohl sie über etliche zehntausend Jahren an komplett unterschiedlichen Orten und unter unterschiedlichen Bedingungen aufgewachsen sind?

Das ist das was ich dieser Trilogie und Asimov nicht verzeihe. Warum ist eine Trilogie über diesen immensen Zeitraum und dieser immensen geographischen Dimension angelegt, und die Figuren wirken, als wären sie alle auf die gleiche Vorstadt-High School in Phoenix, Arizona gegangen.

Unter der Haube einer vermeintlich epischen Science-Fiction-Trilogie verbirgt sich ein langweiliges Kammerspiel der High-School-Theater-Gruppe von Glendale, bei Phoenix, Arizona.

1 von 5 Sternen

Comic: „The Walking Dead: The Alien“

Cover des Comics

„Panel Syndicate“ wurde vor einigen Jahren als ein eBook-Verlag von Comic-Autoren und -Zeichner gegründet. Zwei Besonderheiten zeichnen den Verlag aus. Es gibt keinen Verkaufspreis für die kopierschutzfreien eBooks, sondern eine „Name your price“-Politik – zahle was du willst. Und der Verlag scheint konsequent auf ein displayfreundliches Querformat, statt dem vom Papier gewohnten Hochformat zu setzen.

„The Walking Dead: The Alien“ ist eine Story aus dem Walking Dead-Kosmos, angesiedelt in Barcelona.

Aufwachen in Barcelona

„The Alien“ steht dabei nicht für „Außerirdischer“, sondern für den „Fremden“, Jeff, einen Ex-Studenten aus den USA, der mit Aushilfsjobs durch die Welt tingelt und beim Ausbruch Quarantäne in Barcelona gestrandet ist.

Jeff gerät in Zombie-Kalamitäten ehe ihn die heimische Claudia da raus rettet. Claudia und Jeff beschließen, aus Barcelona zu flüchten.

Aufwachen in Barcelona

Robert Kirkman, Erfinder von „Walking Dead“ sowie die an der Walking Dead-Franchise beteiligten Verlage haben ihr Placet für diese inoffizielle Erweiterung von Walking Dead gegeben.

Es ist von Marcos Marin sehr angenehm gezeichnet. Brian K. Vaughan zieht die Story sehr straight durch (allerdings empfand ich Panel 11 als merkwürdig sexistischen Ausrutscher in einem sonst sehr souveränen Comic).

Marin gibt dem Comic eine gute Textur – sowohl was das katalanische Flair angeht, als auch das schönes Spiel mit Schwarz-Weiß bzw positiven und negativen Flächen. Interessant ist das Layout. Bei manchen Panel-Aufteilungen hatte ich das Gefühl, dass sie im Querformat aufgrund der sehr viel längeren horizontalen Strecken nicht so funktionieren, wie im Hochformat.

Wenn es denn etwas gibt, was man dem Comic ankreiden kann, dann ist es die Atemlosigkeit in Zeichnung und Story. Auf nur 32 Seiten (inkl. Nachwort und Skizzen) bekommt die Atmo wenig Raum zur Entfaltung und entwickelt daher nicht die Wucht, die in ihr drin steckt. Der Comic verkauft sich damit unter Potential. Aber Vaughan und Marin sind in meinem Radar angekommen.

Es ist das was es ist: ein kurzer, höchstprofessioneller One-Shot zu einem Preis, den man selbst wählen kann. Man wird unterhalten, aber der Comic ist zu kurz um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

4 von 5 Sternen.

Games: „Death Stranding“

Sam Porter Bridges aus dem Spiel „Death Stranding“
Norman Reedus als Sam Porter Bridges

Anfang November ist nach viereinhalb Jahren Produktion, „Death Stranding“ für die PlayStation 4 erschienen, das lang erwartete erste Spiel vom Spieldesigner Hideo Kojima nach seiner Trennung von Konami und der „Metal Gear Solid“-Franchise. Die lange Wartezeit, die Verwendung namhafter Schauspieler und Sonys Marketing-Maschine sorgten für einen Hype, mit dem das Spiel beim Erscheinen über die Mediengrenzen hinweg, auch in TV und Print-Medien Wellen schlug.

Ich habe das Spiel nicht gekauft und nicht gespielt, aber dafür das komplette 27stündige „Let’s play“ vom YouTube-Kanal „Die Prototypen“ gesehen. Ich bereue es, das Spiel nicht gekauft zu haben. Aber ich hatte im Vorfeld anhand der veröffentlichten Trailer kein Vertrauen, dass der zur Selbstverliebtheit neigende Kojima ein brauchbares Spiel produzieren wird.

Herausgekommen ist aber etwas, bei dem zwar die Einzelteile kritikwürdig sind, aber was als Ganzes einen Eindruck hinterlässt, wie nur ganz wenige Spiele im Laufe einer Konsolenära.

Die Science Fiction-Story ist völlig abstrus. Sam Porter Bridges streift durch die postapokalyptische USA und muss im Rahmen des Wiederaufbaus, Gegenstände an Stützpunkte ausliefern, damit diese wieder an ein landesweites Netzwerk angeschlossen werden. Die Apokalypse ist durch „Death Stranding“ verursacht worden und hat zur Folge, dass die Welt der Toten immer präsenter wird. Wenn es regnet, erscheinen die Toten als „GDs“ („Gestrandete Dinge“) in der Landschaft und können die wenigen noch draußen umherlaufenden Menschen töten. Porter Bridges trägt ein „BB“ („Bridge Baby“), ein speziell gezüchtetes Embryo in einer Schutzglocke, bei sich. Diese Embryos, weil sie in ihrem Zustand zwischen Tod und Leben stehen, sind in der Lage ihrem Träger die umherziehenden „GDs“ anzuzeigen.

Die Absurdität des Plots vergrößert sich im Laufe der Zeit, wenn eine Terrorgruppe mit übernatürlichen Kräften auftritt und eine Präsidentinnen-Tochter an der Westküste am „Strand“ auf Befreiung wartet – „Strand“ ist der Ort der Toten.

Kojima hat einen unhandlichen Plot geschrieben, der nur so vor abstrakten Metaphern und Abkürzungen wimmelt, der aber halbwegs einer inneren Logik folgt, weswegen man als Zuschauer gerade noch mit kommt. Ich hege sowieso den Verdacht, dass der Plot ein groß angelegter Rorschach-Test ist, in dem jeder das hinein interpretiert, was er sehen möchte.

Wo das Spiel seine Meisterschaft findet und die Zuschauer/Spieler wirklich einfängt, sind die Spielfiguren und Filmsequenzen. Ich habe noch nie, derart gute und echte 3D-Modelle von Spielfiguren in Computerspielen gesehen. Zuletzt 3D-Spielfiguren immer wieder an zwei Knackpunkten gescheitert: die tot wirkenden Augen und der Mund mit zu harten Übergängen zwischen Lippen, Zähnen und dem hinteren Mundraum. Nicht so hier.

Noch nie gab es in einem Computerspiel derart lebendig wirkende 3D-Modelle. Zusammen mit den langen, filmischen Videosequenzen, ist es das erste Spiel, dass die Grenzen zwischen Computerspiel und Realfilm verwischt – umso beeindruckender dass dies zuerst bei einem Konsolen- und nicht einem PC-Spiel passiert.

Die andere Seite der „Selbstverliebtheit“ von Kojima ist die Besessenheit und Detailliebe in der Umsetzung, die sich bei den Spielfiguren und den liebevoll gestalteten Landschaften zeigt. Das Spiel lebt von diesem „Drumherum“, denn das Spielprinzip selber, ist, abgesehen von einigen Kampfsequenzen, nicht viel anders als der „American Truck Simulator“: hole Dinge von A ab und such deinen Weg nach B, um dort die Dinge wieder abzugeben.

„Death Stranding“ zeigt: auf den Kontext kommt es an. Die Verpackung und das Feuerwerk drum herum, heben dieses Spiel auf ein ganz eigenes Niveau – sonst wäre ich kaum fast 30 Stunden bei einem „Let‘s play“ dran geblieben. Das Spiel hat eine derart eigene Handschrift, dass es zu den Spielen zählen wird, von denen man noch in zehn Jahren sprechen wird: „Weisste noch?“. Es ragt aus dem derzeitigen Einheitsbrei der Triple-A-Spielen heraus. Im laufenden Spiel will man Kojima öfters zurufen, ob er noch alle Kaffeebecher im Regal hat. Am Ende ist man aber dankbar, dass es noch solche Dickköpfe gibt, die gnadenlos ihre Vision umsetzen.

© 2024 Kai Pahl

Theme basiert auf „Lingonberry“ von Anders NorenNach Oben ↑