Ich bin lost, was das Buch mir sagen will.

Es sind zwar 14 Kurzgeschichten. 14 Puzzle-Teile, die zusammenpassen und eine… ja, was eigentlich… eine Story erzählen? Das trifft es irgendwie nicht. Wir erfahren das Was und das Wieso und dazwischen was „Das“ mit Menschen anstellt. Aber dieses „Dazwischen“, dass die eigentliche raison d‘être des Buchs zu sein scheint, sind nicht viel mehr, als nur kurze, bewertungsfreie Beobachtungen, die über das episodenhafte nicht hinaus gehen.

Das Buch beginnt mit der Fahrt eines älteren Forschers zu einer sibirischen Forschungsstation. Dort wurden prähistorische Funde untersucht, die das durch den Klimawandel aufgetaute Tiefland freigegeben hat. Bei der Untersuchung eines toten Mädchens aus der Eiszeit, ist seine Tochter Clara tödlich verunglückt. Und sehr bald zeigt sich, dass bei den Ausgrabungen der Eiszeit-Menschen ein tödlicher Virus freigesetzt wurde.

In den ersten Kurzgeschichten nimmt das Buch Kurs auf die immense Tragödie mit zig Millionen Toten, insbesondere Kinder. Was macht es mit der individuellen Trauer? Wie geht eine Gesellschaft mit dieser schieren Menge an Tod um, Stichwort: organisierte Euthanasie und Beerdigungen als Massenbetrieb.

Im Laufe des Buches wird die Seuche unter Kontrolle gebracht und was bleibt, ist die nicht bewältigte Trauerarbeit der Menschen. Aber mit jeder Kurzgeschichte mehr, wirkt das, was da nicht bewältigt wurde, weniger wie ein Artefakt der Seuche und mehr wie ein Artefakt unserer heutigen Gesellschaft, Artefakt einer zunehmenden Distanzierung und Individualisierung. Die Auflösung von „Familie“. Und so hätte man vermutlich ein Drittel der Kurzgeschichten auch ohne das Setting der Seuche schreiben können.

Und mittendrin eingestreut, fallen einige Kurzgeschichten aus dem Rahmen. So erzählt eine Kurzgeschichte was jemand während seines Komas in der Zwischenwelt erlebt. Eine weitere Kurzgeschichte erzählt von der Reise eines „Generations-Raumschiff“ auf der Suche nach einer zweiten Erde.


Da schwingt bei mir eine gewisse Enttäuschung mit. Eine bloße Nacherzählung der Kapitel beschreibt nicht die Wucht, mit der die ersten Kurzgeschichten einschlagen. Die Zärtlichkeit der Protagonisten geht Hand-in-Hand mit den Schlägen, die der Tod von geliebten Menschen und der Ungeheuerlichkeit einer industrialisierten Euthanasie verursacht. Das Buch zieht eine/n runter. Man schläft schlecht, wacht beschissen auf und muss am nächsten Vormittag noch daran denken, wie der kleine Junge in die Euthanesie-Achterbahn geführt wird.

Aber irgendwann stumpft man als Leser/in ab. Das Buch zeigt über die 14 Kurzgeschichten und 300 Seiten hinweg, zu wenig Dynamik und bietet zu viel same/same. Die Wucht der ersten Geschichten verfliegt und die Auflösung in der letzten Kurzgeschichte, stellt leider einen großen Disconnect zum Beginn des Buches dar.

Ach, hätte ich das Buch doch bloß nach einhundert Seiten weggelegt.

Was am Ende bleibt, ist kein Plot, sondern der tiefe Einschlag, den die ersten fünf, sechs Kurzgeschichten hinterlassen. Das hätte eigentlich schon gereicht.

3 von 5 Sternen.