Ich habe keine Ahnung wer Andi Watson ist (Wikipedia). Kieron Gillen hat vor einigen Wochen in seinem Newsletter hingewiesen, das Watson einen Teil seines Back-Catalogues als eBooks auf Gumroad selber vertreibt und Gillen ist geschmackssicher genug, dass man als Neugieriger mal einen Blick darauf werfen sollte.
Geisha (1998)
„Geisha“ nimmt als Zutaten einige bekannte SF-Motive um daraus, sowohl inhaltlich, als auch zeichnerisch, etwas eigenes zu schaffen. Geisha ist eine junge Androidin, die von ihrem „Vater“ wie ein normales Mädchen groß gezogen wurde und daher, wie ein normales Mädchen, sehr menschlich wirkt. Geisha will Künstlerin werden. Aber als Androidin wird ihre Kunst nicht für voll genommen. Die Einkommenssituation ist eher karg. Daher arbeitet sie in der Securityfirma ihres Vaters als Bodyguard und soll ein weltbekanntes Mannequin beschützen.
Die Zeichnungen sind eine Fusion von Asien und Europa. Aus der Manga-Welt erkennt man das dynamische Seitenlayout wieder, so wie einige Tricks, wie eine hohe Zeichengeschwindigkeit erreicht wird: Fokussierung auf Dialoge und Menschen bzw. Gesichter. Hintergründe werden nur sparsam eingestreut. Der Sprung zu einem europäischen Strich geschieht dank der Manga-Zeichensprache, die versucht, sich auf das Essentielle zu konzentrieren, aber von Watson mit Hilfe des Pinsels? Feder? Leben und Individualität eingehaucht bekommt.
Was sich hier schon andeutet, ist eine der Stärken von Andi Watson: trotz der zeichnerischen Reduktion, die Gesichter der Protagonisten sprechen zu lassen.
Dass mich Geisha trotzdem nicht geflasht hat, lag am Setting und der damit verbundenen Erwartungshaltung. So effizient Watsons Strich ist, seine Stories sind eher „geschwätzig“ statt straight und strukturiert. Das SF-Setting wirkt, nicht nur zeichnerisch, wie überflüssiges Beiwerk. Der Konflikt von Geisha als Android, also Kunstmenschen und Geisha als Malerin, also Kunst-Mensch, verliert sich in der allgemeinen Geschwätzigkeit des Comics. Dem Comic wäre nicht sehr viel abgegangen, wenn man ihn in der heutigen Zeit hätte spielen lassen. Diese Beliebigkeit zeigt das Manko des Comics auf.
„Geisha“ von Andi Watson, bei Andicomics/Gumroad als eBook erhältlich (149 Seiten, 1,50 Pfund)
von 5 Sternen.
Love Fights (Volume One & Two, 2003)
Und was bei Geisha nicht geklappt hat, hat bei „Love Fights“ auf 328 Seiten wunderbar geklappt. Die Geschwätzigkeit und Unstrukturiertheit ist geblieben. Wir ham‘ auch wieder Science-Fiction. Aber statt der Frage nach Kunst von Kunstmenschen, gibt es eine Romantic Comedy als Screwball-Komödie im Superhelden-Millieu. Hier passt die Tonalität zum Genre.
Es spielt in einer Welt, in der Superhelden zum Alltag gehören, inklusive ihrer medialen Vermarktung in TV, Film und Gossip-Magazinen. Superhelden-Comics sind in dieser Welt Dokumentationen wahrer Begebenheiten.
Jack ist Comic-Zeichner von „The Flamer“, einem zunehmend unhippen Superhelden. Bei einer Zufallsbegegnung verknallt er sich in Nora, Assistentin bei einem Gossip-Blatt. Nora wittert ihre Chance zum beruflichen Aufstieg, als sie an einem Scoop dran ist: der Flamer hat bei einem Seitensprung ein Kind mit Superheldenkräften gezeugt.
Damit ist ein roter Faden vorgeben, der quer durch den Comic Auslöser für eine Zahl von Intrigen und irrwitzigen Zwischenfällen und Beziehungskrisen sorgt, als wäre es eine Hollywood-Komödie von Billy Wilder – mit der gleichen Sogkraft habe ich den Comic verschlungen.
Ähnlich wie sich das Storyhandling gegenüber Geisha weiter entwickelt hat, wirken die Zeichnungen von Andi Watson in Love Fights noch mehr auf den Punkt gebracht. Der Strich noch reduzierter. Die Meisterschaft mit einem Minimum an Strichen die unterschiedlichsten Charaktere zu zeichnen, ist großartig. Es ist erstaunlich, wie wenig man braucht, um eine Figur mit Wiedererkennungswert auszustatten. Vor allem im zweiten Band hat sich Watson sowas von eingroovt in seine Figuren, dass seine Zeichnungen nur so vor Selbstsicherheit sprühen. Mimik und Gestik sind auf den Punkt.
Einer etwaigen Monotonie entkommt er durch den Einsatz von drei Grundfarben und unterschiedlichen Texturen bei den Strichen und Flächen.
Die beiden eBooks strotzen nur so Spielfreude. Watson hat Spaß am Sujet und seinen Protagonisten gehabt. Das merkt man den Zeichnungen und der Story an. Dabei ist eine Kreuzung entstanden, die einzigartig ist.
„Love Fights“ von Andi Watson, bei Andicomics/Gumroad als eBook. Zwei Bände (je 164 Seiten). Je Band 1,50 Pfund.
von 5 Sternen.