Anfang November ist nach viereinhalb Jahren Produktion, „Death Stranding“ für die PlayStation 4 erschienen, das lang erwartete erste Spiel vom Spieldesigner Hideo Kojima nach seiner Trennung von Konami und der „Metal Gear Solid“-Franchise. Die lange Wartezeit, die Verwendung namhafter Schauspieler und Sonys Marketing-Maschine sorgten für einen Hype, mit dem das Spiel beim Erscheinen über die Mediengrenzen hinweg, auch in TV und Print-Medien Wellen schlug.
Ich habe das Spiel nicht gekauft und nicht gespielt, aber dafür das komplette 27stündige „Let’s play“ vom YouTube-Kanal „Die Prototypen“ gesehen. Ich bereue es, das Spiel nicht gekauft zu haben. Aber ich hatte im Vorfeld anhand der veröffentlichten Trailer kein Vertrauen, dass der zur Selbstverliebtheit neigende Kojima ein brauchbares Spiel produzieren wird.
Herausgekommen ist aber etwas, bei dem zwar die Einzelteile kritikwürdig sind, aber was als Ganzes einen Eindruck hinterlässt, wie nur ganz wenige Spiele im Laufe einer Konsolenära.
Die Science Fiction-Story ist völlig abstrus. Sam Porter Bridges streift durch die postapokalyptische USA und muss im Rahmen des Wiederaufbaus, Gegenstände an Stützpunkte ausliefern, damit diese wieder an ein landesweites Netzwerk angeschlossen werden. Die Apokalypse ist durch „Death Stranding“ verursacht worden und hat zur Folge, dass die Welt der Toten immer präsenter wird. Wenn es regnet, erscheinen die Toten als „GDs“ („Gestrandete Dinge“) in der Landschaft und können die wenigen noch draußen umherlaufenden Menschen töten. Porter Bridges trägt ein „BB“ („Bridge Baby“), ein speziell gezüchtetes Embryo in einer Schutzglocke, bei sich. Diese Embryos, weil sie in ihrem Zustand zwischen Tod und Leben stehen, sind in der Lage ihrem Träger die umherziehenden „GDs“ anzuzeigen.
Die Absurdität des Plots vergrößert sich im Laufe der Zeit, wenn eine Terrorgruppe mit übernatürlichen Kräften auftritt und eine Präsidentinnen-Tochter an der Westküste am „Strand“ auf Befreiung wartet – „Strand“ ist der Ort der Toten.
Kojima hat einen unhandlichen Plot geschrieben, der nur so vor abstrakten Metaphern und Abkürzungen wimmelt, der aber halbwegs einer inneren Logik folgt, weswegen man als Zuschauer gerade noch mit kommt. Ich hege sowieso den Verdacht, dass der Plot ein groß angelegter Rorschach-Test ist, in dem jeder das hinein interpretiert, was er sehen möchte.
Wo das Spiel seine Meisterschaft findet und die Zuschauer/Spieler wirklich einfängt, sind die Spielfiguren und Filmsequenzen. Ich habe noch nie, derart gute und echte 3D-Modelle von Spielfiguren in Computerspielen gesehen. Zuletzt 3D-Spielfiguren immer wieder an zwei Knackpunkten gescheitert: die tot wirkenden Augen und der Mund mit zu harten Übergängen zwischen Lippen, Zähnen und dem hinteren Mundraum. Nicht so hier.
Noch nie gab es in einem Computerspiel derart lebendig wirkende 3D-Modelle. Zusammen mit den langen, filmischen Videosequenzen, ist es das erste Spiel, dass die Grenzen zwischen Computerspiel und Realfilm verwischt – umso beeindruckender dass dies zuerst bei einem Konsolen- und nicht einem PC-Spiel passiert.
Die andere Seite der „Selbstverliebtheit“ von Kojima ist die Besessenheit und Detailliebe in der Umsetzung, die sich bei den Spielfiguren und den liebevoll gestalteten Landschaften zeigt. Das Spiel lebt von diesem „Drumherum“, denn das Spielprinzip selber, ist, abgesehen von einigen Kampfsequenzen, nicht viel anders als der „American Truck Simulator“: hole Dinge von A ab und such deinen Weg nach B, um dort die Dinge wieder abzugeben.
„Death Stranding“ zeigt: auf den Kontext kommt es an. Die Verpackung und das Feuerwerk drum herum, heben dieses Spiel auf ein ganz eigenes Niveau – sonst wäre ich kaum fast 30 Stunden bei einem „Let‘s play“ dran geblieben. Das Spiel hat eine derart eigene Handschrift, dass es zu den Spielen zählen wird, von denen man noch in zehn Jahren sprechen wird: „Weisste noch?“. Es ragt aus dem derzeitigen Einheitsbrei der Triple-A-Spielen heraus. Im laufenden Spiel will man Kojima öfters zurufen, ob er noch alle Kaffeebecher im Regal hat. Am Ende ist man aber dankbar, dass es noch solche Dickköpfe gibt, die gnadenlos ihre Vision umsetzen.