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„Black Hammer“

Ich bin 2020 mit einer Menge von Bringschuld rausgegangen. Dazu gehört die längst überfällige Rezension der ersten Bände der Superhelden-Serie „Black Hammer“ (in der deutschen Variante im Splitter Verlag erschienen), die mir Leser Christoph letztes Jahr geschenkt hat (nochmals vielen Dank!)

„Black Hammer“ ist ein wahnsinnig heterogenes Dingens, von dem ich nicht weiß, wieviel in der Serie von langer Hand geplant und wieviel Zufall oder Unfall ist (Zeichner Ormston bekam kurz vor Beginn Gehirnblutungen und der Serienstart musste um ein Jahre verschoben werden). Wer einen Blick ins Chaos werfen will, kann es in der Bibliographie in der englischen Wikipedia tun.

„Black Hammer“

Cover der ersten beiden Bände.

Der originäre Erzählstrang umfasst zwei Storybögen: „Black Hammer“ mit den Heften #1 bis #13 (2016 bis 2017, bei Splitter Band 1+2) und „Black Hammer: Age of Doom 1+2“ mit den Heften #1 bis #12 (2018–2019, bei Splitter Band 3+4)


Zum Einstieg sehen wir eine Farm im mittleren Westen der USA mit sechs Protagonisten, die sich schnell als Superhelden, Außerirdische, Roboter, Geistwesen und Hexe entpuppen, die diesen Ort nicht verlassen können. Ausgerechnet der Namensgeber der Serie „Black Hammer“ ist nicht zu sehen. Mehr kann man zur Handlung schon nicht mehr sagen, ohne Spoiler-Territorium zu betreten.


Die Serie wirkt wie eine Collage etlicher bekannter Superhelden-Versatzstücke. Es ist nicht schwer zu erkennen, wer alles die Vorbilder für Barbarlien, Golden Gail, Abraham Slam, Madame Dragonfly und Colonel Weird sind. Die Serie ist massiv vom „Golden Age“ beeinflusst, Superhelden-Comics der 40er und 50er Jahre – nicht zuletzt sehen wir wie die Superhelden sich nach ihren vergangenen, besseren Zeiten in den 40er und 50er Jahre zurück sehnen.


Autor Jeff Lemire legt in den ersten Heften den Schwerpunkt auf Portraits der Protagonisten, die am Leben mit und außerhalb ihrer Superheldenkostüme scheitern: der Kampf gegen ihr Alter, Sehnsucht nach Beziehungen oder Ausleben ihrer sexuellen Ausrichtung – vor dem Hintergrund einer Kleinstadt in den USA. Dies ist sensibel geschrieben und wunderbarst von Dave Ormston gezeichnet, der ein paar Hefte braucht, bis er sich eingegroovt hat. Er hat einen knorrigen, spröden Zeichenstil. Wenn es dynamische Szenen sind, ist es ungefähr so hölzern wie Action-Comics in den 40er und 50er Jahren. Aber der Stil bildet die harsche Realität wunderbar ab und Ormston beherrscht das Mimenspiel seiner Figuren.

Aber irgendwann nach Heft 6 fing ich an, mir die Frage zu stellen, was eigentlich das „Endgame“ von Jeff Lemire und der Serie werden soll? Das Tempo der Serie geriet aus dem Tritt. Es holperte und stolperte. Der erste Tiefpunkt war Heft #9, welches erzählerisch wie ein kurzfristig eingestreuter Lückenfüller wirkte und mit den Zeichnungen von David Rubin stilistisch ein Fremdkörper war.

Das Intermezzo von David Rubin
David Rubins Colonel Weird Intermezzo in Bonbonfarben und so gar nicht zu Ormstons Tonalität passend.

In den Bänden 3 und 4, „Age of Doom“, wandert Autor Lemire von Plot zu Plot und Leser|in dürfen nach 1–2 Heften dann feststellen, dass die Auflösung weder etwas mit der Hauptstory zu tun hat, noch die Charakterzeichnungen der Protagonisten stärkt. Fallbeispiel Black Hammer im Anteroom.

Die Cover der Bände 3 und 4.
Rich Tomassos Intermezzo.

Heft #6 und #7 haben wieder diesen Lückenfüller-Charakter. Rich Tommaso hat mit seinen Zeichnungen (à la Charles Burns in ganz schlecht) nicht mit dem Stil und Tonalität von Ormston zu tun – selbst mit einer Prämisse, dass es sich um eine der Dimensionsreisen von Colonel Weird handelt, habe ich es nicht lange ertragen.

Lemire inszeniert viel Mystik und Magie und weckt Hoffnungen auf eine komplexe und originelle Intrige. Aber am Ende erweist es sich wieder als Luftnummer und dem Leser mit einem billigen Storytrick die Tür vor der Nase zugeknallt. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Lemire sich im Laufe der Serie etliche Male ganz schwer in Sackgassen reingeschrieben hatte.


Das ist schade. Die Serie hat ihre sehr guten Momente, wenn Lemire und Ormston sich um die zwischenmenschlichen Beziehungen kümmern. Da hat sie eine einzigartige und eigenständige Tonalität.

Sehr, sehr viel dazu, tragen die Zeichnungen von Dean Ormston und die fantastische Arbeit von Colorist Dave Stewart bei. Aber es macht den Eindruck, als würde Lemire nicht erkennen, wo die Qualitäten der Serie liegen. Stattdessen wird inhaltlich geirrlichtert und mit Rubin und Tommaso zwei Gastzeichner reingeholt, die die eigentlichen Qualitäten der Serie konterkarieren.

„Sherlock Frankenstein – und die Legion des Teufels“

Cover des Ablegers „Sherlock Frankenstein“

Recht zügig scheint Jeff Lemire bewusst geworden zu sein, dass er mit „Black Hammer“ ein ausbaufähiges und recht variables Universum geschaffen hat, für das man weitere Projekte schreiben kann. Im Original als Heft #1 – 4 zwischen Ende 2017 und Anfang 2018 erschienen (und damit während der halbjährigen Halbzeitpause von „Black Hammer“), beschäftigt sich „Sherlock Frankenstein“ mit dem profiliertesten Superschurken des Black Hammer-Universums.

Auch hier stellte ich mir nach dem vierten Heft die Frage nach dem „Endgame“ von Lemire. Okay, es ist eine durchaus akzeptabel erzählte Genesis von Sherlock Frankenstein. Lucy Weber bleibt dagegen ein flacher Abklatsch gegenüber ihren Auftritten im Black Hammer-Hauptstrang.

Und so wirken die vier Hefte wieder wie so eine „Souflé“-Nummer von Lemire: die Frankenstein-Story hätte man knackig auf ein einziges Heft komprimieren können.

Zeichner David Rubin kann hier zwar etwas mehr Klasse zeigen, aber von Ormston ist das nicht nur stilistisch sehr weit weg.

Mir ist nicht klar, warum Lemire mit Rubin und Tommasozwei Zeichner als Alternativen einsetzt, die sich eher stilisierter Linienzeichnungen verschrieben haben, während Ormston mit Stift und Pinsel einen sehr spröden, europäischen Stil pflegt. Der Einsatz von Rubin in einem Steampunk-angehauchten Ambiente, wirkt deplaziert – oder Rubin schafft es nicht, diese Welt sich eigen zu machen.

„The Quantum Age“

Cover des Ablegers „The Quantum Age“

In der zweiten Jahreshälfte 2018, und damit überschneidend mit den beiden Blöcken des „Age of Doom“-Storybogens, wurde mit „The Quantum Age“ der nächste Ableger aus dem „Black Hammer“-Universum veröffentlicht.

Die Serie spielt in der Zukunft, aber die Superhelden aus 2141 haben Bezüge zu einigen „Black Hammer“-Protagonisten. In Spiral City herrscht inzwischen eine Diktatur, die feindlich gegenüber Außerirdischen gesinnt ist. Die Superhelden agieren als Untergrund gegen die Diktatur.

Wo das Original-„Black Hammer“ den Hauch von „Golden Age“ hatte, weckt „The Quantum Age“ bei mir Assoziationen zu DCs „Legion of Super-Heroes“ aus den 60er–80er Jahren.


Wieder schafft es Lemire glaubwürdige und interessante Charaktere und Interaktionen untereinander zu schaffen. Aber wieder wird es abseits davon, sehr schnell schattig. Im Gegensatz zu „Black Hammer“ bleiben die Örtlichkeiten kalt und unnahbar. Und wieder hat Lemire ein Problem mit der Handlung und dem „Endgame“. Wieder bedient er sich nach einer langen Exposition eines Taschenspielertricks um die Handlung zu einem Pseudo-Ende zu führen und wieder hat es sich für mich als Leser nach Koitus Interruptus angefühlt.


Erwähnen muss man auf jeden Fall Zeichner Wilfredo Torres. Wie man meinen obigen Ausführungen merken kann, schaffe ich es kaum, mich von Originalzeichner Dean Ormston lösen zu können – ich besitze auch einen Band mit „Black Hammer“-Kurzgeschichten von unterschiedlichen Zeichner … dit geht alles nicht. Schlimm. Schlimm. Schlimm.

Torres ist aber tatsächlich neben Ormston der einzige, der mit seinen Zeichnungen aus der Vorlage von Lemire, etwas Eigenständiges, etwas Rundes, schafft. Das mag auch am SF-Szenario liegen, dass Torres‘ sehr glatten, outline-lastigen Linienstil entgegen kommt. Er erinnert mich an Michael Allred.

Mit Ormston gemein, hat Torres eine wahnsinnig gute Beobachtungsgabe für Mimik und Gestik.


„Black Hammer“ ist inzwischen ein ganzes Superhelden-Universum, dessen gemeinsamer Nenner der Autor Jeff Lemire ist. Die Stärken liegen bei den längeren Geschichten in den Charakteren und den zwischen„menschlichen“ Interaktionen. Lemire sieht aber bei den Plots nicht gut aus.. Etliches wirkt wie Füllmaterial. Anderes wirkt unvollendet. Viel gutes Material an Inhalt und Ormston‘schen und Torres‘schen Zeichnungen wird damit unter Potential verkauft.

3–4 von 5 Sternen

Ted McKeever (1): „Eddy Current”

Cover von „Eddy Current“
Cover des Trade Paperbacks von „Eddy Current“

„Eddy Current“ erschien 1987 als zwölfteilige Heft-Serie in einem kleinen Verlag und 1991 bei Dark Horse nochmals als Hardcover-Trade Paperback. Zeichner ist der US-Künstler Ted McKeever. Eddy Current war das zweite Comic-Projekt von McKeever und heimste etliche Preis-Nominierungen ein.


Der Untertitel des TPBs „A 12-Hour Book“ gibt die Struktur preis. Eddy Current ist Insasse in einer Irrenanstalt. Am späten Nachmittag bekommt er sein langersehntes Paket: den „Dynamic Fusion Suit“, den er sich via Coupon von der Rückseite seiner Lieblings-Comic-Serie „Amazing Broccoli“ bestellt hat, und der ihm Superkräfte verleihen soll und mit dem er Held sein und die Menschheit retten will.



Dummerweise sind die benötigten Batterien nicht beigefügt. Also schließt er den Anzug an die Steckdose seiner Zelle an. Er erzeugt damit einen Kurzschluss, der das Sicherheitssystem der Irrenanstalt bis zum Wachwechsel am nächsten Morgen um 6 Uhr, lahm legt. Zwölf Stunden Freiheit für Eddy Current. Zwölf Stunden um seiner Bestimmung, die Menschheit zu retten und wie sein Vorbild Broccoli, wie ein Held zu sterben, nach zu kommen. Die zwölf Hefte umfassen jeweils eine Stunde.

Die Serie lässt sich schwer fassen, weil sie zwischen sämtlichen Limits irrlichtert. Sie greift Genres auf, um sie zu parodieren, aber gleichzeitig das Fundament darauf aufzusetzen.

Es ist ein Superhelden-Comic, dessen Protagonist kein Superheld und unsympathisch ist und dessen Zeichner & Autor Superhelden-Comics bis zur Ekelgrenze lächerlich macht. Gleichzeitig basiert der ganze Spannungsbogen auf einen Helden-Showdown.

Die Akteure strotzen nur so vor falschen Gefühlen und enttäuschten Biographien. Mitleid verdient nur die „Nun“, die empathische Nonne, die aber gleichzeitig die am stärksten verblendete Figur ist und in Eddy Current die Wiederauferstehung von Christus sieht.


Die Geschichte ist wie ein zwölfstündiger Rausch durch die Nacht, der nur mühsam von einer Story zusammengehalten wird. Es sind McKeevers Schwarzweiß-Zeichnungen, die die Serie in eine andere Dimension heben. Kraftvoll, expressionistisch in Strich, Pinsel, Spiel mit den Flächen und Formgebung. McKeever ist konsequent und gnadenlos. Vier Jahre vor Frank Millers „Sin City“ (1991) geht McKeever an die Extreme der Schwarz-Weiß-Darstellung, ohne dass es, wie bei Miller, als „L‘art pour l‘art“ wirkt.


Interessant ist dabei die Wandlung von McKeevers Zeichenstil im Laufe der zwölf Hefte. Zu Beginn wirkt er noch zaghaft im Ausdruck seines Striches und im Einsatz von schwarzen Flächen. Er behilft sich mit Grauwerten per geklebter Rasterfolie. Ab dem dritten Heft (20 Uhr) wird die Rasterfolie kaum noch eingesetzt und verschwindet zugunsten eines extremen Spiels mit Weiß- vs Schwarzflächen und radierungenähnlichen Schraffuren. Outlines werden von McKeever gezielter eingesetzt oder weggelassen. Die Formsprache unterwirft sich dem Ausdruck und dem Gesamtlayout statt der inhaltlichen Darstellung.


„Eddy Current“ hinterlässt im Kopf einen Einschlag, den man aber nicht greifen kann. Es ist nicht die Story, denn sie bietet keine greifbaren Protagonisten. Die Story ist nur ein roter Faden, für das Toben der McKeever‘schen, zeichnerischen Urgewalt, die da nach einigen Heften ins Rollen kommt. Was haften bleibt, sind Bilder. Auch dreißig Jahre nach Erscheinen und zwanzig Jahre nach dem Frank Miller mit „Sin City“ das Thema abstraktes Flächen- und Formenspiel totgespielt hat, bleibt „Eddy Current“ als zeichnerische Ausnahmeerscheinung ganz oben im Regal stehen.

5 von 5 Sternen.

Cover von Preacher: Book One

Die Serie „Preacher“ ist vermutlich eher durch die inzwischen eingestellte TV-Serie und nicht durch die Comic-Vorlage (1995 – 2000) bekannt, obwohl sie besser sein soll.

Hier geht es um das Trade Paperback der Hefte #1 – #12, dass in „Book One“ zusammengefasst ist und für Amazon Prime-Kunden im Kindle kostenlos lesbar ist.

Die Serie ist nicht spoilerfrei zu erzählen und selbst mit Spoiler derart hanebüchen, dass es verwundert, dass es überhaupt Leute gegeben hat, die 66 Hefte lang durchgehalten haben (Kostprobe: Wikipedia).

Jesse Custer ist der „Preacher“, ein Prediger in einer texanischen Kleinstadt, in den eines Tages plötzlich ein übernatürliches Wesen namens „Genesis“ einfährt, Kind eines Engels und eines Dämons.

Mit der Geburt von Genesis, beschloss Gott den Himmel zu verlassen und sich auf die Erde zurück zu ziehen.

Die Serie ist ein langer Road Movie, der Custer auf der Suche nach Gott quer durch die USA begleitet. Mit dem ersten TBP erfahren wir mehr über Custer und wie er vom Womanizer zum Priester wurde und wer seine Begleiter Tulip und Cassidy sind.

Dieser ganz grobe Plot-Abriss gibt eine grobe Ahnung, wie abgedreht die Stories sind und erahnen, wieviele „WTF“-Momente es in jedem Heft gibt.

Die WTF-Momente werden noch zahlreicher aufgrund zahlreicher ekeliger Charaktere, Plot-Details oder den Zeichnungen von Steve Dillon. Ein Beispiel: einer der Protagonisten ist „Arseface“, dessen Namen daher rührt, dass er beim Versuch dem Selbstmord seines Idol Kurt Cobain nachzueifern, sich mit der Schrotflinte alles aus dem Gesicht wegballert … aber nicht stirbt. Er wird gerettet, aber sein Gesicht besteht nur noch aus zwei Augen und einem Mund, der wie ein gigantischer Anus aussieht.

Beispielseite
Eine Beispielseite für eine lustlos weggezeichnete Laber-Seite. Hintergründe? Fuck off. Die Protagonisten die im Auto einfach dahin gerotzt werden.

Es ist sehr viel, was Ennis und Dillon in den Topf rein schmeißen und dieses Feuerwerk ermüdet auf Zeit. Gleichzeitig gibt es teilweise ewig lange Laberstrecken, die sich wie ein Drehbuch zu einer RTL-Vorabendserie anhören und von Dillon schwach und lustlos weggezeichnet werden.

Dann hat die Serie aber auch wieder Phasen, in der diese Ansammlung von Ekel, Gewalt und Wut ein kohärentes Paket sind und eine ungeheure Wucht entfalten. Der zweite Storybogen des Trade Paperbacks, die Rückkehr von Jesse Custer zu seiner Familie in Louisiana, gehört zu diesen Plots, die wie ein Schlag in der Magengrube sind.

Aber insgesamt schleppt die Serie im ersten TBP zu viel Füllmaterial (die Plotline in Ney York!) mit sich herum.

Inhaltlich ist es einzigartig, aberwitzig und überdreht. Aber auch effektheischerisch. Die Zeichnungen können nicht mithalten. Am Ende ist es nicht meins und daher ist es bei diesem einen TBP geblieben.

3 von 5 Sternen.

Comic: „The Walking Dead: The Alien“

Cover des Comics

„Panel Syndicate“ wurde vor einigen Jahren als ein eBook-Verlag von Comic-Autoren und -Zeichner gegründet. Zwei Besonderheiten zeichnen den Verlag aus. Es gibt keinen Verkaufspreis für die kopierschutzfreien eBooks, sondern eine „Name your price“-Politik – zahle was du willst. Und der Verlag scheint konsequent auf ein displayfreundliches Querformat, statt dem vom Papier gewohnten Hochformat zu setzen.

„The Walking Dead: The Alien“ ist eine Story aus dem Walking Dead-Kosmos, angesiedelt in Barcelona.

Aufwachen in Barcelona

„The Alien“ steht dabei nicht für „Außerirdischer“, sondern für den „Fremden“, Jeff, einen Ex-Studenten aus den USA, der mit Aushilfsjobs durch die Welt tingelt und beim Ausbruch Quarantäne in Barcelona gestrandet ist.

Jeff gerät in Zombie-Kalamitäten ehe ihn die heimische Claudia da raus rettet. Claudia und Jeff beschließen, aus Barcelona zu flüchten.

Aufwachen in Barcelona

Robert Kirkman, Erfinder von „Walking Dead“ sowie die an der Walking Dead-Franchise beteiligten Verlage haben ihr Placet für diese inoffizielle Erweiterung von Walking Dead gegeben.

Es ist von Marcos Marin sehr angenehm gezeichnet. Brian K. Vaughan zieht die Story sehr straight durch (allerdings empfand ich Panel 11 als merkwürdig sexistischen Ausrutscher in einem sonst sehr souveränen Comic).

Marin gibt dem Comic eine gute Textur – sowohl was das katalanische Flair angeht, als auch das schönes Spiel mit Schwarz-Weiß bzw positiven und negativen Flächen. Interessant ist das Layout. Bei manchen Panel-Aufteilungen hatte ich das Gefühl, dass sie im Querformat aufgrund der sehr viel längeren horizontalen Strecken nicht so funktionieren, wie im Hochformat.

Wenn es denn etwas gibt, was man dem Comic ankreiden kann, dann ist es die Atemlosigkeit in Zeichnung und Story. Auf nur 32 Seiten (inkl. Nachwort und Skizzen) bekommt die Atmo wenig Raum zur Entfaltung und entwickelt daher nicht die Wucht, die in ihr drin steckt. Der Comic verkauft sich damit unter Potential. Aber Vaughan und Marin sind in meinem Radar angekommen.

Es ist das was es ist: ein kurzer, höchstprofessioneller One-Shot zu einem Preis, den man selbst wählen kann. Man wird unterhalten, aber der Comic ist zu kurz um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

4 von 5 Sternen.

Comic: “Long Rain”

Cover des Comics

Dies ist ein nur 23 Seiten langer Comic, entstanden nach einer Kurzgeschichte von Ray Bradbury von 1950 „The Long Rain“.

Der Tipp auf den Comic ist über eine Empfehlung von Kieron Gillen reingekommen. Artyom Topilin (T: @artyomtopilin, I: artyomtopilin) ist ein Zeichner u.a. aus dem Superhelden-Umfeld, den ich bislang nicht kannte. Da der Comic auch auf russisch erschienen ist, liegt es nahe, dass Topilin mindestens russischer Abstammung ist.

Das passt auch ganz gut zur Kurzgeschichte von Ray Bradbury, über eine Gruppe von Raumfahrern, die auf einem Planeten gestrandet sind, auf dem es seit tausenden von Jahren ununterbrochen regnet. Die Raumfahrer sind auf der Suche nach einer Basis, wo sie Unterschlupf finden können.

Die Kurzgeschichte hat jene Tonalität, die man auch von etlichen osteuropäischen SF-Filmen kennt: sehr introvertiert, melancholisch, düster und die Grenzen zwischen Realität und Irrsinn sind fließend.

Topilin liefert auf den nur 23 Seiten eine eigenständige Interpretation der Bradbury‘schen Geschichte, die vollends überzeugt – sowohl in der Ästhetik, als auch in der Erfindung des Settings. Der Kurz-Comic kann über Gumroad als eBook (PDF) gekauft werden.

4 von 5 Sternen.

P.S.: Gumroad wird mir als Plattform für Comics immer sympathischer. Nicht dass sie technologisch besonders herausragend wäre. Aber sie erfüllt ihren Zweck u.a. Comic-Zeichner*innen eine Bezahlplattform für verschiedene Formate zu geben: Kurzgeschichten, Skizzen, eigenständiger Vertrieb längerer Comic-Geschichten. Es senkt die Hemmschwelle von „Link im Newsletter“ bis zum Kauf des Comics. Das ist gut. Auch gut: Gumroad gibt die Möglichkeit, über den Mindestpreis hinaus, noch mehr on the top zu bezahlen.

Comics: „Geisha” und „Love Fights“ von Andi Watson

Ich habe keine Ahnung wer Andi Watson ist (Wikipedia). Kieron Gillen hat vor einigen Wochen in seinem Newsletter hingewiesen, das Watson einen Teil seines Back-Catalogues als eBooks auf Gumroad selber vertreibt und Gillen ist geschmackssicher genug, dass man als Neugieriger mal einen Blick darauf werfen sollte.

Geisha (1998)

Cover Kapitel 1 von Geisha

„Geisha“ nimmt als Zutaten einige bekannte SF-Motive um daraus, sowohl inhaltlich, als auch zeichnerisch, etwas eigenes zu schaffen. Geisha ist eine junge Androidin, die von ihrem „Vater“ wie ein normales Mädchen groß gezogen wurde und daher, wie ein normales Mädchen, sehr menschlich wirkt. Geisha will Künstlerin werden. Aber als Androidin wird ihre Kunst nicht für voll genommen. Die Einkommenssituation ist eher karg. Daher arbeitet sie in der Securityfirma ihres Vaters als Bodyguard und soll ein weltbekanntes Mannequin beschützen.

Beispielseite aus Geisha

Die Zeichnungen sind eine Fusion von Asien und Europa. Aus der Manga-Welt erkennt man das dynamische Seitenlayout wieder, so wie einige Tricks, wie eine hohe Zeichengeschwindigkeit erreicht wird: Fokussierung auf Dialoge und Menschen bzw. Gesichter. Hintergründe werden nur sparsam eingestreut. Der Sprung zu einem europäischen Strich geschieht dank der Manga-Zeichensprache, die versucht, sich auf das Essentielle zu konzentrieren, aber von Watson mit Hilfe des Pinsels? Feder? Leben und Individualität eingehaucht bekommt.

Was sich hier schon andeutet, ist eine der Stärken von Andi Watson: trotz der zeichnerischen Reduktion, die Gesichter der Protagonisten sprechen zu lassen.

Dass mich Geisha trotzdem nicht geflasht hat, lag am Setting und der damit verbundenen Erwartungshaltung. So effizient Watsons Strich ist, seine Stories sind eher „geschwätzig“ statt straight und strukturiert. Das SF-Setting wirkt, nicht nur zeichnerisch, wie überflüssiges Beiwerk. Der Konflikt von Geisha als Android, also Kunstmenschen und Geisha als Malerin, also Kunst-Mensch, verliert sich in der allgemeinen Geschwätzigkeit des Comics. Dem Comic wäre nicht sehr viel abgegangen, wenn man ihn in der heutigen Zeit hätte spielen lassen. Diese Beliebigkeit zeigt das Manko des Comics auf.

Geisha von Andi Watson, bei Andicomics/Gumroad als eBook erhältlich (149 Seiten, 1,50 Pfund)

3 von 5 Sternen.


Love Fights (Volume One & Two, 2003)

Cover von „Love Fights (Volume One)“

Und was bei Geisha nicht geklappt hat, hat bei „Love Fights“ auf 328 Seiten wunderbar geklappt. Die Geschwätzigkeit und Unstrukturiertheit ist geblieben. Wir ham‘ auch wieder Science-Fiction. Aber statt der Frage nach Kunst von Kunstmenschen, gibt es eine Romantic Comedy als Screwball-Komödie im Superhelden-Millieu. Hier passt die Tonalität zum Genre.

Es spielt in einer Welt, in der Superhelden zum Alltag gehören, inklusive ihrer medialen Vermarktung in TV, Film und Gossip-Magazinen. Superhelden-Comics sind in dieser Welt Dokumentationen wahrer Begebenheiten.

Jack ist Comic-Zeichner von „The Flamer“, einem zunehmend unhippen Superhelden. Bei einer Zufallsbegegnung verknallt er sich in Nora, Assistentin bei einem Gossip-Blatt. Nora wittert ihre Chance zum beruflichen Aufstieg, als sie an einem Scoop dran ist: der Flamer hat bei einem Seitensprung ein Kind mit Superheldenkräften gezeugt.

Damit ist ein roter Faden vorgeben, der quer durch den Comic Auslöser für eine Zahl von Intrigen und irrwitzigen Zwischenfällen und Beziehungskrisen sorgt, als wäre es eine Hollywood-Komödie von Billy Wilder – mit der gleichen Sogkraft habe ich den Comic verschlungen.

Beispielseite aus Love Fights

Ähnlich wie sich das Storyhandling gegenüber Geisha weiter entwickelt hat, wirken die Zeichnungen von Andi Watson in Love Fights noch mehr auf den Punkt gebracht. Der Strich noch reduzierter. Die Meisterschaft mit einem Minimum an Strichen die unterschiedlichsten Charaktere zu zeichnen, ist großartig. Es ist erstaunlich, wie wenig man braucht, um eine Figur mit Wiedererkennungswert auszustatten. Vor allem im zweiten Band hat sich Watson sowas von eingroovt in seine Figuren, dass seine Zeichnungen nur so vor Selbstsicherheit sprühen. Mimik und Gestik sind auf den Punkt.

Einer etwaigen Monotonie entkommt er durch den Einsatz von drei Grundfarben und unterschiedlichen Texturen bei den Strichen und Flächen.

Die beiden eBooks strotzen nur so Spielfreude. Watson hat Spaß am Sujet und seinen Protagonisten gehabt. Das merkt man den Zeichnungen und der Story an. Dabei ist eine Kreuzung entstanden, die einzigartig ist.

Love Fights von Andi Watson, bei Andicomics/Gumroad als eBook. Zwei Bände (je 164 Seiten). Je Band 1,50 Pfund.

5 von 5 Sternen.

Comic: „Peter Cannon: Thunderbolt”

Alternativ-Cover des ersten Peter Cannon: Thunderbolt-Heftes
Alternativ-Cover von Peter Cannon: Thunderbolt #1

Peter Cannon: Thunderbolt“ (PC-T) ist eine fünf Hefte umfassende Storyline von Gillen und Wijngaard (Hardcover-TPB erscheint Januar 2020).

Drei Anmerkungen zum Einstieg:

  • Die Storyline funktioniert nur als Ganzes. Es macht keinen Sinn, die Hefte einzeln zu betrachten.
  • Zum Genuss der vollen Dimension (no pun indended) der Storyline sollte man „The Watchmen“ von Alan Moore/Dave Gibbons kennen
  • Man beraubt sich der Hälfte des Spaßes, wenn man nicht die korrekte Anordnung der Doppelseiten hat. In der Comixology-Variante sind die falschen Seitenpaare als Doppelseite zusammengebündelt und man muss sich auf dem iPad mit dem Finger behelfen, um jeweils die richtigen Seitenpaare auf dem Screen zu haben.

Peter Cannon gehörte zum Superhelden-Kanon des Verlages Charlton Comics. Moore/Gibbons wollten 1986 ursprünglich Charlton-Superhelden für DCs „Watchmen“ verwenden. Doch DC, zwischenzeitlich im Besitz der Charlton-Lizenzen, wollte die Figuren nicht dafür freigeben. Moore/Gibbons mussten sich neue Figuren ausdenken und nahm u.a. Peter Cannon als Vorlage für Ozymandias.

Der Ausgangspunkt von PC-T ist eine Übernahme des „Watchmen“-Plots: eine vorgetäuschte Invasion von Außerirdischen. Diese übermächtige Schein-Bedrohung soll die zerstrittene Welt einen und damit für Wohlstand und Frieden sorgen. Cannon erkennt anhand des Studiums von alten Schriftrollen, dass der Drahtzieher niemand anderes als er selbst ist: ein Peter Cannon („Thunderbolt“) in einer Parallelwelt. Cannon geht mit Superhelden-Kollegen auf die Reise durch die Dimensionen.

Ohne „The Watchmen“ zu kennen, bekommt man eine Story, die clever mit Comic-Stereotypen und gestalterischen Formalitäten spielt. Weil Story, Layout, Zeichnung, Kolorierung und Lettering so clever ineinander spielen, bekommt man bereits auf dieser ersten Ebene, ein gutes Paket zusammengeschnürt. Inhaltlich dürften er/sie/es aber ähnlich ratlos davor stehen, wie vor den ersten Bänden von Grant Morrisons „Doom Patrol“.

Beim Versuch sich PC-T anzunähern, passiert schnell das, was im Englischen als „going down the rabbit hole“ bezeichnet wird – man steigt immer tiefer ein, entdeckt immer Neues und sucht nach immer mehr Anspielungen und Metaphern.

Gillen spielt mit dem Medium. Das ist zuvorderst bei den Zeichnungen zu erkennen. Die Grenze zwischen Medium und Leser*in, die Fourth Wall, wird aufgehoben.

Die folgende Doppelseite zeigt wie fünf Superhelden und Cannon am Boden liegen, innerhalb von aufgemalten Bodenmarkierungen, bevor sie die Reise durch die Parallelwelten antreten. Die sechs Superhelden angeordnet wie auf sechs Panels, die wiederum Bestandteil eines Panels werden, welches Thunderbolt um die Ohren fliegt.

Doppelseite von PC-T mit zwei 9-Panel-Raster
Wie PC-T auf einer Doppelseite mit dem 9-Panel-Raster spielt

Die Superkraft mit der Cannon sich und seine Kompagnons durch die unterschiedlichen Parallelwelten bringt, ist der „Formalismus“ (yep, I shit you not). Bei dem Einsatz von „Formalismus“, durchbricht Gillen/Cannon den Comic-Formalismus des strengen Layout-Rasters und wechselt die Zeichenstile.

Eine Doppelseite mit der Reise durch Parallelwelten
Eine Doppelseite mit der Reise durch Parallelwelten. Mit sechs Zellen eines 9-Panel-Rasters durch ein 9-Panel-Raster fliegen

Das strenge Layout-Raster in eines der Erkennungsmerkmale von „The Watchmen“, welches fast komplett in einem 9-Panel-Seitenraster gezeichnet ist.

Eine Doppelseite mit der Reise durch Parallelwelten
Klassisches 9-Panel-Raster von Watchmen

Wo in Watchmen Ozymandias vor einer Monitorwand sitzt, wird in PC-T die Monitorwand selber zum 9-Panel-Raster und es ist Thunderbolt, der dieses Raster durchbricht.

Panel mit Ozymandias vor einer Monitorwand
Ozymandias vor einer Monitorwand
Seite mit Thunderbolt vor einer Monitorwand
Thunderbolt, außerhalb des 9-Panel-Rasters, vor seiner Monitorwand

Man kann es als grundsätzliche Prämisse von PC-T bezeichnen, dem Medium Comic anhand von „ Watchmen“ den Spiegel vor zuhalten – „Watchmen“, im gleichen Jahr wie Frank Millers „The Dark Knight Returns“ erschienen und markiert mit Dark Knight einen Meilenstein in der US-Comic- und Superhelden-Landschaft.

Gillens PC-T zollt Watchmen nicht nur seinen Tribut. Das ganze Spiel mit der Superkraft „Formalismus“ ist auch eine Aufforderung, sich durch Watchmen die nächsten Fesseln auferlegen zu lassen. Und so wechseln sich in der Storyline Anspielungen auf Watchmen mit der bewussten Antithese ab.

Letzte Bildzeile von Watchmen
Letzte Bildzeile in „Watchmen“: „I leave it entirely in your hands…“ sagt der Redakteur zum Verschwörungstheoretiker, der in die Leserpost greift, wo u.a. die explosiven Tagebuchaufzeichnungen von „Rorschach“ liegen
Vorletzte Seite von PC-T
Vorletzte Seite von „Peter Cannon: Thunderbolt“: „I leave it entirely in your hands…“ sagt Cannon nach dem Kuss.

Thunderbolt ist in PC-T zwar eine Variante von Peter Cannon in seiner eigenen Dimension und seine Kleidung erinnert stark an Watchmens Ozymandias. Aber Thunderbolts Palast mit seiner Uhrmechanik-Ästhetik und das Symbol auf seiner Stirn, erinnern eher an Watchmens blauen Dr. Manhattan.

Panel mit Thunderbolt in seinem Palast
Thunderbolt und sein Palast
Panels mit Dr. Manhattans Atom-Symbol auf der Stirn
Dr. Manhattan brennt sich sein „Atom“-Symbol auf die Stirn
Panel mit Dr. Manhattan auf dem Mars
Dr. Manhattans Uhrwerks-Palast auf seinem Mars-Exil

Gillen und Wijngaard übernehmen nicht nur Bildelemente, sondern gleich ganze Bildzitate. Der Rausschmiss von Peter Cannon durch Peter Cannon/Thunderbolt ist eine komprimierte Version der legendären Bildsequenz zu Beginn der Watchmen, als der Watchmen Edward Blake/The Comedian aus seinem Penthouse geschmissen wird und zu Tode stürzt.

Seite in der Peter Cannon von Thunderbolt in die Tiefe geschmissen wird
Der Sturz von Peter Cannon in einer 5-Panel-Sequenz.
”Excess brutality“ von Rorschach
”Excess brutality“ von Rorschach
”Excess brutality“ von Rorschach
”Excess brutality“ von Rorschach
Die drei Panels, verteilt auf einer Seite, mit dem Todessturz von Edward Blake

Etliche Seiten später ist auch das Pendant, die Rückkehr von Peter Cannon, ein Bildzitat. Diesmal sogar mit identischer Panelaufteilung und ähnlichen oder gleichen Panel-Inhalten, wie das Pendant von Watchmen, wo Rorschach in das Appartement von Edward Blake einsteigt, um zu seinem Tod zu ermitteln.

Seite mit der Rückkehr von Peter Cannon in den Palast von Thunderbold
Peter Cannons Rückkehr und die Balance einerseits die Vorlage zu zitieren, andererseits den eigenen Zeichen- und Kolorierungsstil beizubehalten
Rorschach steigt durch das Fenster in das Penthouse von Edwards Blake ein
Gleiche Panelaufteilung 33 Jahre vorher, in Watchmen.

Etwas abstrakter wird die Formsprache von Watchmen Rorschach aufgegriffen – so benannt nach der Maske die er trägt und an den Rorschach-Test erinnert. Gillen/Wijngaard greifen die Formsprache von Rorschach-Muster auf ihrer Art auf…

Panel mit Watchmen Rorschach
Die Muster auf Rorschachs Maske sind stets in Bewegung, bleiben aber symetrisch.
Panel mit den Resten von „The Test“: Blutspritzer angeordnet in einem Rorschach-Muster
Ein Superheld weniger.

Teilweise werden auch nur kleine Handlungsmuster genommen, um an Watchmen zu erinnern, wie z.B. Rorschachs sadistischen Verhörmethoden…

”Excess brutality“ von Rorschach
Rorschach und seine Verhörmethoden zu Beginn von Watchmen
„Excess brutality“ von Thunderbolt
Thunderbolt: „Excess brutality – I invented it“ und schon geht der erste von zehn Fingern dahin.

So kopflastig PC-T konstruiert ist, so kann man sich schon an dem Offensichtlichen ergötzen: das ausgefeilte Layout, die Zeichnungen, die Kolorierung und das Lettering. Die Perfektion und die Sensibilität erschließt sich auch ohne das Wissen um die Meta-Ebene. Aber mit der Meta-Ebene, wird man ein zweites und ein drittes Mal zu PC-T zurückkehren, möglicherweise auch im Doppelpass mit „Watchmen“, um all die Seitenpfade zu entdecken und zu verstehen.
Es ist wieder ein Computerspiel, dass man nach dem ersten Durchspielen, weitere Male spielt, um alle Nebenquests aufzulösen.

4 von 5 Sternen.

Comic: „My Heroes have always been Junkies“

Cover „My Heroes have always been Junkies“

Ed Brubaker schreibt seit den 90er Jahren Comics. Nach dem er sich lange Jahre an Superhelden abarbeitete (u.a. bei Marvel für den grandiosen „Winter Soldier“-Zyklus bei Captain America und einem nicht minder grandiosen Daredevil-Zyklus verantwortlich), ist Brubaker seit drei Jahren in einer Position, in der sich auf sein Lieblingsgenre konzentrieren kann: Crime Comics – mehr die Noir-Richtung als „der Plot nimmt eine überraschende Wendung für eine Schlusspointe“.

Die Ich-Erzählerin der Story ist Ellie, roundabout 20 Jahre alt. In der Eingangsszene steht sie am Strand und blickt ins Meer. Auf der letzten Seite werden wir sie wieder gen Meer blickend, sehen. Dazwischen liegt der Plot, erzählt in Rückblenden.

Ellie ist in einer teuren privaten Entziehungsklinik, wo sie im Gesprächskreis einen gleichaltrigen jungen Typen, Skip kennen lernt. Er flirtet, sie flirtet. Nach Einbruch der Dunkelheit klopft Ellie ans Fenster von Skips Klinikzimmer und bietet Menthol-Zigaretten an, geklaut aus dem Zimmer der Anstaltsdirektorin.

Ellies Story wird von weiteren Rückblenden durchbrochen, in der Episoden aus ihrer Kindheit auftauchen. Ellie hat eine brutale Kindheit gehabt: Vater im Gefängnis, Mutter Diebin und drogenabhängig. Mutter stirbt früh und sie wächst bei einem anderen Mann auf.

Drogen sind der rote Faden in Ellies Leben. Es ist nicht so sehr der eigene Drogenkonsum, über den wir nicht viel erfahren, sondern die Prägung durch die Mutter. Die Mutter stirbt zwar früh, aber die Musik ist aus der Zeit übrig geblieben. Für Ellie werden Musik und Drogen eins. Billie Holidays „Carnegie Hall“-Album wecken bei ihr Erinnerungen, wie ihre Mutter dieses Album hört und dabei traurig aus dem Fenster blickt. Holiday, von ihren Dämonen gejagt und an Drogen verreckt – wie ihre Mutter. Als Kind liest sie sich in etliche Drogen-Storys von Musikern ein, will im Joshua Tree Inn mit ihrem Stiefvater in Zimmer #8 schlafen, weil dort Gram Parsons starb.

Die neckische Story zwischen Ellie und Skip besitzt eine unschuldige Leichtigkeit. Doch die Rückblenden aus ihrer Kindheit hängen wie ein schwerer Schatten über Ellie.

Der weitere Plot ist banal. Die Zeichen sind früh zu deuten. Doch die Story des Buchs ist nicht der Plot – sondern Ellie. Es kommt, wie es kommen muss. Doch trotz der Vorhersehbarkeit und der Kürze des Buches (72 Seiten) nimmt einem das Schicksal von Ellie mit. Eigentlich möchte man weiter bei Ellie bleiben.

Der Comic steht auf zwei kraftvollen Säule: die bedrückenden Fetzen aus Ellies Kindheit und die Zeichnungen von Sean Phillips. Sean Phillips zeichnet sehr statisch. Jedes Bild wirkt wie ein Photo. Die Bilder leben durch Komposition – und die Gesichter. Das Mienenspiel überstrahlt alles, inklusive kleinere Unsicherheiten in Gesten und Körperproportionen. Der komplette Comic lässt sich auch ausschließlich anhand der Gesichter erleben – was für eine emotional derart schwere Story eine Kunst ist.

Es muss auch das Coloring von Seans Bruder Jacob erwähnt werden, dass sehr frei neben dem Inking von Sean co-existiert und den Zeichnungen eine weitere Ebene gibt. Mehr über das Coloring von Sean Phillips‘ Zeichnungen gibt es in einem achtminütigen YouTube-Video von „Strip Panel Naked“.

Der Plot wird von Ellies Lebensgeschichte in den Hintergrund gerückt. Wenn man sich darauf einlässt, lässt einem Ellie nicht mehr los. Das dies auf nur 72 Seiten passiert, ist Brubaker und Phillips hoch anzurechnen.

5 von 5 Sternen.

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