Cover von „Eddy Current“
Cover des Trade Paperbacks von „Eddy Current“

„Eddy Current“ erschien 1987 als zwölfteilige Heft-Serie in einem kleinen Verlag und 1991 bei Dark Horse nochmals als Hardcover-Trade Paperback. Zeichner ist der US-Künstler Ted McKeever. Eddy Current war das zweite Comic-Projekt von McKeever und heimste etliche Preis-Nominierungen ein.


Der Untertitel des TPBs „A 12-Hour Book“ gibt die Struktur preis. Eddy Current ist Insasse in einer Irrenanstalt. Am späten Nachmittag bekommt er sein langersehntes Paket: den „Dynamic Fusion Suit“, den er sich via Coupon von der Rückseite seiner Lieblings-Comic-Serie „Amazing Broccoli“ bestellt hat, und der ihm Superkräfte verleihen soll und mit dem er Held sein und die Menschheit retten will.



Dummerweise sind die benötigten Batterien nicht beigefügt. Also schließt er den Anzug an die Steckdose seiner Zelle an. Er erzeugt damit einen Kurzschluss, der das Sicherheitssystem der Irrenanstalt bis zum Wachwechsel am nächsten Morgen um 6 Uhr, lahm legt. Zwölf Stunden Freiheit für Eddy Current. Zwölf Stunden um seiner Bestimmung, die Menschheit zu retten und wie sein Vorbild Broccoli, wie ein Held zu sterben, nach zu kommen. Die zwölf Hefte umfassen jeweils eine Stunde.

Die Serie lässt sich schwer fassen, weil sie zwischen sämtlichen Limits irrlichtert. Sie greift Genres auf, um sie zu parodieren, aber gleichzeitig das Fundament darauf aufzusetzen.

Es ist ein Superhelden-Comic, dessen Protagonist kein Superheld und unsympathisch ist und dessen Zeichner & Autor Superhelden-Comics bis zur Ekelgrenze lächerlich macht. Gleichzeitig basiert der ganze Spannungsbogen auf einen Helden-Showdown.

Die Akteure strotzen nur so vor falschen Gefühlen und enttäuschten Biographien. Mitleid verdient nur die „Nun“, die empathische Nonne, die aber gleichzeitig die am stärksten verblendete Figur ist und in Eddy Current die Wiederauferstehung von Christus sieht.


Die Geschichte ist wie ein zwölfstündiger Rausch durch die Nacht, der nur mühsam von einer Story zusammengehalten wird. Es sind McKeevers Schwarzweiß-Zeichnungen, die die Serie in eine andere Dimension heben. Kraftvoll, expressionistisch in Strich, Pinsel, Spiel mit den Flächen und Formgebung. McKeever ist konsequent und gnadenlos. Vier Jahre vor Frank Millers „Sin City“ (1991) geht McKeever an die Extreme der Schwarz-Weiß-Darstellung, ohne dass es, wie bei Miller, als „L‘art pour l‘art“ wirkt.


Interessant ist dabei die Wandlung von McKeevers Zeichenstil im Laufe der zwölf Hefte. Zu Beginn wirkt er noch zaghaft im Ausdruck seines Striches und im Einsatz von schwarzen Flächen. Er behilft sich mit Grauwerten per geklebter Rasterfolie. Ab dem dritten Heft (20 Uhr) wird die Rasterfolie kaum noch eingesetzt und verschwindet zugunsten eines extremen Spiels mit Weiß- vs Schwarzflächen und radierungenähnlichen Schraffuren. Outlines werden von McKeever gezielter eingesetzt oder weggelassen. Die Formsprache unterwirft sich dem Ausdruck und dem Gesamtlayout statt der inhaltlichen Darstellung.


„Eddy Current“ hinterlässt im Kopf einen Einschlag, den man aber nicht greifen kann. Es ist nicht die Story, denn sie bietet keine greifbaren Protagonisten. Die Story ist nur ein roter Faden, für das Toben der McKeever‘schen, zeichnerischen Urgewalt, die da nach einigen Heften ins Rollen kommt. Was haften bleibt, sind Bilder. Auch dreißig Jahre nach Erscheinen und zwanzig Jahre nach dem Frank Miller mit „Sin City“ das Thema abstraktes Flächen- und Formenspiel totgespielt hat, bleibt „Eddy Current“ als zeichnerische Ausnahmeerscheinung ganz oben im Regal stehen.

5 von 5 Sternen.